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Skurril und überspitzt

Thorofon, CTH26522; EAN: 4 003913 126528

Auf zwei CDs hören wir Peter P. Pachl und Rainer Maria Klaas mit Kompositionen für das 1901 gegründete musikalische Kabarett „Überbrettl“. Auf dem Programm stehen Lieder und Melodramen von Oscar Strauss, Alexander Zemlinsky, Arnold Schönberg, Ludwig Thuille, Conradin Kreutzer, Robert Stolz, Hugo Schindler, Friedrich Hollaender und Rainer Maria Klaas.

Liedkompositionen mit merkwürdigen, etwas abgedrehten oder verrückten Texten können großen Charme besitzen, wenn sie richtig vorgetragen werden. Doch dafür bedarf es ein feines Gespür, wie viel man nun in die Musik hineingeben kann, und wie viel der Wirkung von der Musik selbst entfaltet wird. Je eigentümlicher der Text, desto mehr spricht er auch für sich. Eben dieses Gespür fehlt in den Aufnahmen der Überbrettl-Kompositionen durch Peter P. Pachl und Rainer Maria Klaas.

Für Aufsehen sorgten die beiden Musiker durch ihre Trippel-CD mit Melodramen verschiedener, größtenteils unbekannter Komponisten, von denen manch einer eine Entdeckung wert wäre. Die neue Produktion trägt den sprechenden Titel: „Wagner-Zyklus und andere erotische und animalische Extremi- und Perversitäten“. Das titelgebende Lied von Robert Stolz dauert übrigens nur etwa dreieinhalb Minuten und prangt vermutlich nur wegen des Namens Wagner als Aufreißer über den 40 Titeln. Das Überbrettl wurde 1901 gegründet und sollte Künstlern die Chance geben, ihre Kompositionen in kleinem Rahmen vorzutragen und dort zu prüfen, wie sie denn beim Publikum ankämen. Humoristisches nahm dabei eine zentrale Rolle ein, wobei die Künstler auch Wert auf ihre musikalische Ernsthaftigkeit legten – denn trotz des Witzes handelt es sich um durchdachte Kompositionen.

In ihrem Vortrag jedoch unterminieren Peter P. Pachl und Rainer Maria Klaas diese Seriosität. Pachl überspitzt die Texte derart maßlos, dass sie ihren teils doch subtilen Humor nicht mehr unterschwellig vermitteln können: denn dieser wird dem Hörer so stark unter die Nase gehalten, dass man gar nicht dazu kommt, den Duft selbst zu erschnuppern. Wie ein Schauspieler will Pachl die einzelnen Rollen und Charaktere darstellen, mit der Folge, dass man sie ihm eben nicht abkauft, da sie reinen Klischees entsprechen; darüber hinaus zahlt die Intonation den Preis für die bildhafte Darstellung. Dazu kommt, dass Pachl auch Lieder wählte, die weit über seinen Ambitus hinausreichen (z.B. Urschlamm-Idyll) – mit entsprechenden Resultaten. Rainer Maria Klaas, der Pianist mit dem „größten Repertoire Europas“, präsentiert glänzend langweiliges und uninspiriertes Spiel. Struktur, Kontraste oder irgendeine Art von Form sucht man vergebens, mehr als nackte Noten gibt Klaas nicht wieder. In den Liedern steht das Klavier deutlich im Hintergrund, doch in den eingestreuten Solostücken kommt die Monotonie voll zum Ausdruck. Vorbildlich zeigt sich alleinig das umfangreiche und informierte Booklet.

[Oliver Fraenzke, November 2018]

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Wunderlich, wie wunderlich

Fritz Wunderlich: Musik vor Bach; Operetten-Arien; Schlager aus den 50ern

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SWR Music, SWR 19051 / SWR 19038 / SWR 19029; EAN: 7 47313 90518 8 / 7 47313 90388 7 / 7 47313 90298 9

Wir hören Fritz Wunderlich in drei Einspielungen, welche die Vielfalt seiner Stimme auf unterschiedlichste Weise präsentieren: Auf der CD „Musik vor Bach“ finden sich Werke von Ludwig Senfl (1486-1543), Arnt von Aich (1510), Paul Hofhaimer (1459-1537), Heinrich Isaac (1450-1517), Erasmus Lapicida (ca.1450-1547), Adam Rener (1482-1520), Adam von Fulda (ca. 1445-1505), Alessandro Grandi (ca.1575/80-1630), Heinrich Schütz (1585-1672), Johann Rosenmüller (1619-1684), Christoph Graupner (1683-1760), Dietrich Buxtehude (1637-1707) und Johann Philipp Krieger (1649-1735); eine CD mit „Operetten-Arien“ beinhaltet Arien von Franz Lehár (1870-1948), Emmerich Kálmán (1882-1953), Leo Fall ( 1873-1925), Jean Gilbert (1879-1942), Hans May (1886-1958), Ralph Erwin ( 1896-1945), Robert Stolz (1880-1975), Walter Triebel (1908-1951), Nico Dostal (1895-1981), Richard Tauber (1891-1948), Charles Emmerich Kálmán (1929-2015); eine dritte präsentiert verschiedene „Schlager aus den 50ern“.

Mein erstes Erlebnis mit Fritz Wunderlich: 1962 (?) im Münchner Prinzregententheater, „Die Entführung aus dem Serail“ mit Fritz Wunderlich als Belmonte! Glücklicherweise gibt es diese Aufführung inzwischen auch als Konserve zum Nachhören und sich daran Freuen.

Aber das, was derzeit aus den Archiven des SWR auf CD neu erscheint, ist gelinde gesagt eine Sensation: Dass Fritz Wunderlich  Bach, Mozart usw. gesungen hat, ist allbekannt, aber dass er – vor allem in seiner Anfangszeit in Freiburg, das damals ein Zentrum für Alte Musik war, allerdings noch nicht historisch-hysterisch „verbrämt“ – auch Stücke von Ludwig Senfl, Heinrich Schütz, Johann Rosenmüller und anderen vorbachischen Zeitgenossen gesungen, und vor allem wie er das gesungen hat, ist eine Entdeckung ersten Ranges. Schon damals hatte die Stimme jenen „wunderlichen“ Glanz, jene mühelose Höhe bis hin zum Falsett, und vor allem hatte er diese unglaubliche Musikalität in sich, die alle seine Aufnahmen wieder und wieder zeigen und beweisen. Ob als Solist begleitet von einem Streichquartett – wie bei den Lieder von Senfl und Zeitgenossen – oder als Mitglied eines Gesangs-Ensembles, immer wieder besticht seine Fähigkeit, sich dem Gesamtklang einzufügen, ohne seine stimmliche Individualität zu verleugnen oder über Gebühr zu betonen. Auch die makellose Textverständlichkeit – bei ach so vielen Sängerinnen und Sängern ein unverzeihliches Manko – ist bei Fritz Wunderlich natürliches Merkmal, bei aller Stimmschönheit ist sie stets dabei, wenn sich Musik und Poesie geschwisterlich vereinen. Erst dann, und das zeigen diese drei CDs mit Musik vor Bach, Operetten-Arien und deutschen Schlagern der 1950er Jahre. ist das Gipfel-Erlebnis möglich in dem Sinne, in welchem Hans Gal in seinem Buch über „Schubert und die Melodie“ spricht.

Und dann ist es auch völlig gleichgültig, ob Fritz Wunderlich Klassisches oder  „Unklassisches“ wie Operetten oder Schlager singt. Es gibt eben nur zwei Arten von Musik, und zwar nicht E-Musik und U-Musik – eine völlig blödsinnige Unterscheidung meines Erachtens –, sondern gute und schlechte Musik. Und wenn solch ein Ur-Musiker und Ur-Musikant, wie Fritz Wunderlich einer war, der übrigens auf einigen Takes auch selbst Trompete spielt und ursprünglich Horn studierte vor seiner Gesangsausbildung, wenn so einer sich an Lieder von alten Komponisten, Kompositionen mit vorbachischer geistlicher Musik, Operetten von Lehár, Kálmán und anderen oder gar an damals so populäre Schlager macht, dann werden diese zu Diamanten und es ist ein Vergnügen, sich all diese Überspielungen alter SWR-Mitschnitte wieder und wieder zu Gemüte zu führen – zumal so besonnen und bedacht „restauriert“ von zwei Könnerinnen bzw. Könnern, nämlich Gabriele Starke und Boris Kellenbenz, denen dafür unser spezieller Dank gebührt..

[Ulrich Hermann, Februar 2018]