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Richard-Strauss-Tage 2025 [1]: Bläsermusik und Liebeslieder

Wie in den vergangenen Jahren boten die Richard-Strauss-Tage in Garmisch-Partenkirchen auch 2025 ein Programm, das man ob seiner Reichhaltigkeit nur loben kann. Verschiedene Schwerpunkte ließen sich erkennen. So fiel auf, dass der Großteil der dargebotenen Werke von Richard Strauss entweder seiner frühesten oder seiner spätesten Schaffensperiode angehörte. Bläsermusik war auffallend präsent, wobei die beiden Sonatinen für 16 Bläser, die Strauss in den 1940er Jahren komponierte (und die ihrem Diminutivtitel zum Trotz ziemlich umfangreiche Werke sind), in einen größeren musikgeschichtlichen Kontext gestellt wurden. Das zweite Symphoniekonzert stand ganz im Zeichen Italiens, dem auch in einem Liederabend und einer musikalischen Lesung ausgiebig gehuldigt wurde. Außerdem wurden in zwei Kammerkonzerten Werke des Komponisten Franz Mikorey (1873–1947) zu neuem Leben erweckt, der zur gleichen Zeit wie Strauss in Garmisch-Partenkirchen wohnte. Der Verfasser dieser Zeilen hätte gern diesen beiden Konzerten, wie auch anderen Veranstaltungen in der ersten Hälfte des einwöchigen Musikfestes, beigewohnt, musste sich aus terminlichen Gründen aber auf die folgenden Konzerte vom 26. bis 28. Juni beschränken:

26. Juni: Kammerkonzert III (Werke von Richard Strauss und Richard Wagner), Gebirgsmusikkorps der Bundeswehr, Major Rudolf Piehlmayer

27. Juni: Liederabend (Werke von Richard Strauss und Hugo Wolf), Chelsea Zurflüh (Sopran), Gerrit Illenberger (Bariton), Gerold Huber (Klavier)

28. Juni: Sinfoniekonzert II (Werke von Richard Strauss und Felix Mendelssohn Bartholdy), Joo-Anne Bitter (Sopran), Münchner Rundfunkorchester, Rémy Ballot

Der Auftritt des Gebirgsmusikkorps der Bundeswehr war als „Kammerkonzert“ ausgewiesen, da als Hauptwerk des Abends Straussens Bläsersonatine Nr. 2, die Fröhliche Werkstatt, fungierte. Auch der anschließende Feierliche Einzug der Ritter des Johanniter-Ordens ist nicht für volles Blasorchester, sondern nur für Blechbläser und Pauken geschrieben. Bei den übrigen Stücken jedoch war das Musikkorps in seiner vollen Besetzung zu hören. Zu Beginn erklang der Festmarsch C-Dur, den Strauss 1888 für das Münchner Orchester Wilde Gungl komponierte, in einer Bearbeitung von Gottfried Veit. Am Ende des Programms standen der Einzug der Gäste aus Richard Wagners Tannhäuser, bearbeitet von Stephan Ametsbichler, und Gestatten Strauss, ein Werk des Garmisch-Partenkirchener Komponisten Friedrich Szepansky. Man fragt sich, was Richard Strauss, der bekanntlich ein Gegner von Potpourri-Arrangements war, zu letzterem Stück gesagt hätte. Es handelt sich nämlich um ein Potpourri, das sich aus Auszügen verschiedener Straussscher Kompositionen zusammensetzt, wobei der Bearbeiter eine Meisterschaft besonderer Art an den Tag legte: Szepansky hat keinen Takt eigener Musik hinzugefügt, sondern die Strauss-Exzerpte so ausgewählt, dass keines mit dem anderen in Konflikt gerät – angesichts des weiten Atems, der die originalen Kompositionen prägt, kein leichtes Unterfangen. Das Potpourri hebt an mit der Einleitung aus Also sprach Zarathustra, führt dann mittels des „Anstiegs“ aus der Alpensinfonie zum Hauptthema des Don Juan, dem sich (stark gekürzt) weitere Abschnitte des gleichen Werkes anschließen, und mündet in den Marsch aus Schlagobers, dessen klopfende Anfangstakte direkt aus den Schlusstakten des Don Juan hervorgehen.

Die Wiedergabe der Werke rief mir die Erinnerung an Berichte aus dem 19. Jahrhundert wach, als die Dirigenten der städtischen Musikvereine häufig die örtlichen Militärkapellen zu Konzerten heranzogen, weil man von diesen Ensembles überdurchschnittliche Leistungen erwarten konnte. Das Gebirgsmusikkorps der Bundeswehr zeigte, dass Erwartungen dieser Art auch heute ihre Berechtigung haben. Mit Major Rudolf Piehlmayer verfügt es über einen feinsinnigen Dirigenten, der sich in den individuellen Charakter der jeweiligen Werke einzufühlen weiß, sodass bei einem vielseitigen Programm, wie es an diesem Abend geboten wurde, Abwechslung garantiert ist. Die anmutigen, oft verwinkelten polyphonen Spiele der Fröhlichen Werkstatt waren bei ihm in ebenso guten Händen wie die monumentale Schlichtheit des sich in weiten Bögen entfaltenden Johanniter-Einzugs. Er scheute sich durchaus nicht, seinen Musikern in der sehr effektvoll mit auf der Empore aufgestellten Fernfanfaren dargebotenen Tannhäuser-Festmusik eine gewisse Schmissigkeit zu entlocken, doch vermied er sorgsam jeden Eindruck undifferenzierten Lärmens. Die Disziplin des Orchesters, das zum größten Teil aus Militärangehörigen, aber auch einer Anzahl Zivilisten besteht, wurde gleich im eröffnenden Straussschen Festmarsch deutlich, der dynamisch fein abgestuft dargeboten wurde. Erst in den letzten Takten, wo es sehr wohl am Platze war, gestatte man sich als markante Schlussgeste ein donnerndes „Tschingbumm“. Nachdem mit den Schlagobers-Klängen das offizielle Programm zu Ende war, boten die Musiker als Zugabe eines ihrer Paradestücke, den Kaisermarsch. Als das Trio erreicht war, drehte sich der Dirigent zum Publikum, dirigierte mit über dem Kopf gehaltenen Taktstock weiter und sang gemeinsam mit der Mehrzahl des Orchesters, nur noch vom tiefen Blech begleitet, die Liedmelodie, wodurch deutlich wurde, dass das Gebirgsmusikkorps der Bundeswehr auch als Chor zu überzeugen versteht.

Am Tag darauf gaben die Sopranistin Chelsea Zurflüh und der Bariton Gerrit Illenberger gemeinsam mit dem Pianisten Gerold Huber einen Strauss-Wolf-Liederabend. Dichterisch zusammengehalten wurde das Programm durch das Thema der Liebe, das sich durch sämtliche vorgetragene Gesänge zog. Die Lieder waren dabei geschickt angeordnet: Traten die Gesangsolisten in den 13 Strauss-Liedern der ersten Programmhälfte noch als gewöhnliche Vortragende getrennt voneinander auf, standen sie in der zweiten Hälfte gemeinsam auf der Bühne, um durch abwechselnden Vortrag von 18 Liedern aus Hugo Wolfs Italienischem Liederbuch in die Rollen eines Liebespaares zu schlüpfen. Der Strauss- und der Wolf-Teil waren also wie Vorspiel und Haupthandlung aufeinander bezogen. In den Strauss-Liedern stellten sich Chelsea Zurflüh und Gerrit Illenberger jeweils mit einem Block von mehreren Gesängen vor. Illenberger – ein Sänger mit einer ebenmäßig ausgebildeten Stimme, die auch in höheren Lagen ihre baritonale Färbung nicht einbüßt – wirkte dabei zunächst präsenter, weil ihm mit Liedern wie Ich trage meine Minne op. 32/1 und Ach weh, mir unglücklichem Mann op. 21/4 schlicht die zugkräftigeren Stücke zugeteilt waren, die die für Straussens Verhältnisse auffallend dezenten Mädchenblumen op. 22, mit denen Zurflüh den Abend eröffnet hatte, in den Schatten stellten. Im Gesamtzusammenhang jedoch erschien dieser Beginn letztlich sinnvoll, als sanfte Vorbereitung zu den viel leidenschaftlicheren, hocherotischen Brentano-Liedern aus op. 68, die die Sopranistin am Ende des ersten Teiles sang. Mit hörbarer Freude stürzte sie sich in die Koloraturen des abschließenden Amor und verlieh dem Lied einen sirenenhaft lockenden Tonfall.

Hatte sich bereits im ersten Teil sowohl bei Zurflüh, als auch bei Illenberger eine deutliche Begabung zur Textausdeutung namentlich dort gezeigt, wo sie in erzählenden Liedern wörtliche Rede handelnder Personen wiederzugeben hatten, so verstärkte sich das mimische Element im zweiten Teil deutlich. Die Auswahl aus Wolfs Italienischem Liederbuch war so zusammengestellt worden, dass jeweils ein Frauenlied und ein Männerlied einander abwechselten und sich eine Liebesgeschichte in Dialogform ergab. Der das Liederbuch durchziehende humoristische Grundton ließ die gestischen Interaktionen zwischen Sopran und Bariton, die teils stärker, teils dezenter, aber immer im Einklang mit der Stimmung der jeweiligen Lieder ausfielen, durchaus nicht fehl am Platze erscheinen.

Zurflüh und Illenberger konnten sich in jedem Moment des Abends auf ihren Klavierbegleiter Gerold Huber verlassen, der es verstand, zur Grundierung des Gesangs stets die richtige Atmosphäre zu schaffen. Huber ist ein grandioser musikalischer Kurzgeschichtenerzähler. Hellwach wechselt er den Tonfall, wie es die jeweilige Situation erfordert, ohne den Überblick über das Geschehen zu verliehen. Als besonders schönes Beispiel seiner Kunst sei das „Violin“-Nachspiel im Wolf-Lied Nr. XI genannt, in dem er karikierende Akzente und Tempoverzögerungen anbrachte, bevor er in den letzten Tönen, gleichsam von der Rollenfigur zurück zur Erzählerperspektive wechselnd, wieder in den zurückhaltenden Grundduktus des Liedes einbog und damit den Vorhang der kleinen Szene schloss.

(Zur Fortsetzung siehe hier.)

[Norbert Florian Schuck, Juli 2025]

Hungary for Music

Im Festsaal an der Maria-Ward-Straße 5 findet am 12. und 13. Februar das diesjährige Konzert des Münchner Internationalen Orchesters, des MIO, mit dem unmissverständlichen Titel „Hungary for Music“ statt. Auf dem Programm des von Michael Mader geleiteten Klangkörpers steht das Vorspiel zu „Die Königin von Saba“ Karl Goldmarks neben Béla Bartóks drittem Klavierkonzert, sodann die Ruralia Hungarica von Ernst von Dohnányi sowie aus der Feder von Franz Liszt Les Préludes. Solist des Abends ist Gerold Huber.

Gleich mit zwei Raritäten wartet das Münchner Internationale Orchester an diesem Konzertabend des 13. Februar (sowie am Vortag, am 12. Februar) auf. Die Königin von Saba, eine biblische Figur, ist ein beliebter Stoff: Eine bekannte Erzählung von Knut Hamsun trägt diesen Titel ebenso wie das Ballett Belkis, Regina di Saba von Ottorino Respighi, außerdem tritt die Figur in Händels Oratorium Solomon im dritten Akt auf. Wenig bekannt hingegen ist die Oper von Karl Goldmark auf dasselbe Sujet. Der ungarische Komponist Karl (in Ungarn bis heute Károly) Goldmark erlebte zu Lebzeiten große Erfolge, einige Opern des Autodidakten wurden von Gustav Mahler dirigiert und auch bekannte Größen erhielten Unterricht von ihm, so etwa Jean Sibelius. Später verschwand der Komponist vollends in Versenkung, vor allem zur Zeit der Nationalsozialisten wurde er aufgrund seiner jüdischen Abstammung geächtet. Der Grund für das Verschwinden von Ernst (Ernő) von Dohnányi, Klavierlehrer von Berühmtheiten wie György Cziffra und Géza Anda, liegt anders: Er wurde als spätromantischer Emigrant in Amerika vergessen. Sein Sohn wurde von den Nationalsozialisten als Kollaborateur Stauffenbergs hingerichtet, seine Enkel machten als Dirigent (Christoph) und Hamburger Oberbürgermeister (Klaus) Karriere. Dohnányis Ruralia Hungarica sind eine Suite aus dem Jahr 1923 in sieben Sätzen für Klavier solo mit der Werkkennung Op. 32a, aus der er zum fünfzehnjährigen Bestehen der zusammengesetzten Stadt Budapest fünf Sätze orchestrierte (Op. 32b, eine Fassung 32c für Violine und Klavier sowie 32d für Violoncello und Klavier sollten auch noch folgen).

Das Münchner Internationale Orchester zeigt an diesem Konzertabend eine große Freude am Musizieren und einen vollen, ausgewogenen Ton. Die Musiker, bunt gemischt durch alle Altersklassen und Professionalitätsstufen, sind hochmotiviert und größtenteils auf einem wahrlich beachtlichen Niveau. Bei der Musik von Goldmark scheinen sich manche noch etwas warmzuspielen und die Synchronizität ist nicht durchgängig vorhanden, doch schon hier zeigt sich ein warmer Klang und es wird deutlich, wie intensiv das Orchester an einigen Feinheiten geprobt hat und verborgene Details ans Licht bringen konnte. Auch der in den Orchesterstimmen höchst anspruchsvolle Bartók gelingt größtenteils, nur an wenigen Stellen wirken einzelne Stimmen mit dem komplexen Zusammenspiel ein wenig überfordert. Spätestens nach der Pause kommen die Musiker voll zum Zug und können ihre Qualitäten präsentieren. Die Ruralia Hungarica Dohnányis erhalten schwungvollen Glanz und sanfte Kantabilität zugleich, das Blech darf wie überall kraftvoll schmettern und das Holz besticht durch virtuose Solopassagen. Darbietungstechnisch das Highlight sind dennoch zweifelsohne Les Préludes von Franz Liszt, in diesem bekannten Stück in vertrauter Tonsprache kommt eine Freude an dieser Musik auf, wie ich sie so von großen reinen Profiorchestern nur selten gehört habe. Das Zusammenspiel komplettiert sich nun vollends zu einer mitreißenden Einheit und die divergenten Teile der Préludes werden in feiner Stringenz zusammengehalten. Die Musiker geben durchwegs ihr Bestes und überzeugen mit hoher Qualität. An dieser Stelle seien nur wenige von ihnen besonders hervorgehoben, dies wäre zum einen die hochvirtuose Klarinette, die ihre seiltänzerischen Solopassagen mit größter Lockerheit und spürbarem musikalischen Verständnis präsentiert, das Schlagwerk, welches dynamisch stets auf das restliche Orchester abgestimmt agiert, ohne darin unterzugehen oder sich in den Vordergrund zu drängen, sowie die Basssektion. Lediglich zwei Kontrabässe spielen an diesem Abend – und das bei acht Celli -, dennoch können die beiden Spieler stets vernehmbar bleiben und zeigen eine Klangfülle, die ein solides Fundament für den Klangkörper bildet. Obgleich beide Kontabassisten vollständig unterschiedliche Techniken verwenden, mischt sich der Klang und sogar bei Bartók passen sie sich im Wechselspiel mit dem Pianisten an dessen dominierenden Tonfall an.

Den für seine enormen Schwierigkeiten bis heute respektgebietenden Solopart in Béla Bartóks 3. Klavierkonzert übernimmt Gerold Huber, der bisher vor allem als Liedbegleiter von Christian Gerhaher Aufmerksamkeit erlangte. Auch den Anforderungen an einen Orchestersolisten wird Huber gerecht, die technisch-mechanischen Höchstschwierigkeiten in dem Konzert gelingen ihm in gelassener Lockerheit. An diesem Abend steht das Klavier in der Mitte vor dem Dirigenten und teilt das Orchester quasi in zwei Teile, wodurch in dem akustisch angenehmen Saal ein interessantes Klangexperiment entfacht wird, welches größtenteils gelingt – abgesehen davon, dass das tiefe Holz bei mir auf der rechten Seite etwas schwer hörbar ist in manchen Passagen. Doch ist dazu zu sagen, dass Gerold Huber stets zu laut und hart spielt und das Orchester damit an ruhigeren Stellen übertönt. Anstelle von formbarer Klangfülle durch aktiven Anschlag aus dem Körperzentrum heraus erhalten die Akkorde eine kühle und granitene Härte und Trockenheit durch reinen Armeinsatz. So mag sich der Klang auch wenig in das warm und voll klingende Orchester einpassen. Erst im dritten Satz gelingt die Synthese zwischen Solist und Orchester besser, hier wird auch ein gewisses Verständnis für die Musik merklich.

Michael Mader hält den Klangapparat vom Dirigentenpult aus gut zusammen. Mit Sicherheit lässt sich behaupten, dass die Musiker ihn schätzen und respektieren, jeder folgt intensiv seinem Wink. Mader hat hörbar viel Arbeit in die Proben gesteckt und erhält an diesem Abend seinen Lohn dafür, das Orchester ist trotz Unterbesetzung in einigen Instrumentengruppen beziehungsweise Überschuss in anderen sorgsam abgestimmt und präsentiert ein erstaunlich einheitliches Klangbild.

[Oliver Fraenzke, Februar 2016]