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Erstklassiges Orchester für Genzmer

Harald Genzmer: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 (1942); Konzert für Violoncello und Orchester (1950); Konzert für Posaune und Orchester (1999)

RSO Berlin, Leitung: Ariane Matiakh; Klavier: Oliver Triendl; Violoncello: Patrick Demenga; Posaune: Jörgen van Rijen

Label: Capriccio, Katalog-Nr.: C5330; EAN: 845221053301

Anlässlich des 10. Todestags des Komponisten Harald Genzmer gab es dieses Jahr viele Feierlichkeiten: Nicht nur gab es mehrere Neu-Aufnahmen seiner Werke, es wurden auch Konzert-Wochenenden, Wettbewerbe und Sonderveranstaltungen im Namen des Komponisten ausgerichtet, vor allem in München. In München lehrte Genzmer von 1957 bis 1974 Komposition an der Hochschule für Musik und blieb auch danach der Stadt verbunden.

Harald Genzmer ist der wohl bekannteste Schüler Paul Hindemiths, und seine Tonsprache ist der des späten Hindemith zum Teil so frappierend ähnlich, dass man sich wundern muss, warum Paul Hindemiths Musik von den Nazis als „entartet“ verfemt wurde, während Harald Genzmer es sogar in die sogenannte Gottbegnadeten-Liste schaffte, in der Goebbels und Hitler noch 1944 persönlich die ihrer Meinung nach „begnadetsten“ Kunstschaffenden des zu der Zeit schon dem Untergang geweihten „dritten Reichs“ auflisteten.

Unter den vielen Neuerscheinungen, die zu Genzmers 10. Todestag erschienen sind, ist die Einspielung dreier großer Instrumentalkonzerte des Komponisten durch das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin wohl eine der ganz bedeutenden. Im Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 zeigt sich Genzmer ganz und gar seinem berühmten Mentor verpflichtet. Das ganze Stück wirkt wie eine Vorausschau auf Hindemiths eigenes spätes Klavierkonzert (1945). Dabei ist Genzmer stärker als Hindemith einer ganz lyrischen Moderne verpflichtet, wirkt insgesamt „zahmer“ als der Hindemith jener Jahre. Dabei darf man wohl nicht vergessen, dass Hindemith im US-Exil komponierte, während Genzmer im Kompositionsjahr des Klavierkonzerts zu den von der nationalsozialistischen Kulturpolitik tolerierten, gar geförderten Komponisten gehörte.

Das Cellokonzert aus dem Nachkriegsjahr 1950 zeigt einen moderneren, expressiveren Komponisten. Genzmer scheint hier auch dem Fahrwasser Hindemiths zunehmend zu entkommen, wenngleich vereinzelte harmonische Wendungen noch immer direkt „Mathis der Maler“ oder dem „Schwanendreher“ entsprungen sein könnten. Beeindruckend ist die Behandlung der tiefen Blechbläser in diesem Konzert, die immer wieder vollmundige Akzente im satt besetzten Orchester setzen. Der ganze Ensembleklang schwelgt in den mittleren und tiefen Registern und macht das Stück zu einem richtig fetten Sahnehappen.
Das abschließende Posaunenkonzert ist ein Spätwerk Genzmers, der im Kompositionsjahr 1999 seinen 90. Geburtstag feiern konnte. Wie vieles aus Genzmers spätem Schaffen wirkt einiges an diesem Stück (…mit seinem ausgesprochen „Honneger’schen“ Finale…) wesentlich weniger organisch und auch weniger überzeugend als die Werke aus der Zeit von den 1930er-Jahren bis Ende der 1950er. Ich habe den Eindruck, dass in den späten Werken Genzmers zuweilen die kompositorische Technik über die musikalische Erfindung obsiegt. Oder anders ausgedrückt: Komponieren ist in diesen Werken bisweilen zum Handwerk geworden, das technisch zwar einwandfreie Stücke hervorbringt, die „auf dem Papier“ als geradezu mustergültig durchgehen, während sie an Geschmack verlieren und bisweilen mehr „gewollt“ als „empfunden“ klingen, wenn man sie hört.

Insgesamt wird Genzmer auch in der historischen Rückschau wohl nie zu den „A-Liga“-Komponisten gehören. Dazu ist sein Œuvre zu wenig eigenständig und auch qualitativ zu wenig ausgewogen. Aber Genzmer ist doch in vielerlei Hinsicht auch eine sehr interessante Stimme des 20. Jh., die immer wieder hörenswerte Musik geschrieben hat, die vor allem bei den Fans von Hindemith, Strawinsky, Martinů oder Honegger auf offene Ohren stoßen müsste. Es ist schön, dass das Genzmer-Jubiläumsjahr 2017 zu einigen klingenden Würdigungen seines Schaffens geführt hat, wenngleich beim Label Thorofon fast das gesamte Werk des Komponisten in durchaus empfehlenswerten Einspielungen bereits seit langem vorlag.

Diese Aufnahmen des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin unter der Leitung der ausgesprochen interessanten Dirigentin Ariane Matiakh kann man indes loben: Sie haben in Oliver Triendl, Patrick Demenga und Jörgen van Rijen nicht nur bemerkenswerte Solisten zu bieten, die sich in diesen großen Instrumentalkonzerten allesamt von ihrer besten Seite zeigen, sondern es gehen hier auch viele Pluspunkte auf das Konto des Orchesters. Zwar hat Genzmer eigentlich immer sehr orchesterdienlich geschrieben (wohl auch, um die Aufführung seiner Stücke für möglichst viele Ensembles (auch die weniger professionellen) zu ermöglichen), aber es ist ein Unterschied, ob solche Werke einfach „gespielt“ werden oder wirklich interpretiert. Das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin schafft eine echte Interpretation der Musik, und dabei eine sehr geschmackvolle.
Die Ausgewogenheit der Stimmen, die feinen Klangfarben, der insgesamt (auch von der hervorragenden Klangtechnik der Deutschlandfunk-Tonmeister im 1 A-Sound eingefangene) Orchesterklang mit seinen seidigen Streichern und wunderbaren Bläsern ist sehr zu loben. Das ist sicher, neben dem absolut erstklassigen Orchester, auch Dirigentin Ariane Matiakh zu verdanken, die man beim Label Capriccio schon öfters positiv wahrnehmen konnte.

Wenn es einen Kritikpunkt gibt, den man dieser Aufnahme anlasten könnte (und der auf eine zu kurze, der Aufnahme vorangegangene Probenzeit hindeutet), so ist es das häufige Missachten der „großen Linien“, die Genzmer in seine Partituren hineingeschrieben hat.
Wie kaum ein anderer Komponist seiner Zeit denkt Genzmer in großen Zusammenhängen, die über das bloße Phrasieren zum Teil weit hinausgehen. Bei Genzmer kann eine „Phrase“ minutenlang dauern. Dass dies in der vorliegenden Aufnahme oft nicht erkannt wurde (während es beim Hören ebenso oft auffällt), ist der in meinen Augen einzige wirkliche Minuspunkt, der zwar sehr schade aber (zumal mangels Alternativen) verschmerzbar ist.

[Grete Catus, Dezember 2017]

Wanderer zwischen den Welten

SANDRO BLUMENTHAL (1874-1919): Klavierquintette Opp. 2 und 4,  Lieder

Sophie Klussmann, Sopran, Oliver Triendl, Piano, Daniel Giglberger, Violine, Helene Marechaux, Violine, Corina Golomoz, Viola, Bridgetown MacRae, Violoncello

TYX Art, TXA1607; EAN 4 250702 800798

Der in Venedig als Sohn eines Deutschen Bankdirektors geborene Sandro Blumenthal erhielt seine musikalische Ausbildung in Venedig und ab 1896 in München bei Josef Rheinberger. Der ermutigte ihn zu klassischen Kompositionen, von denen seine zwei Klavierquintette auf dieser CD zu hören sind. Zusammen mit vier Liedern – leider fehlen die Texte im Booklet, denn die Textverständlichkeit der Sängerin lässt wieder einmal sehr zu wünschen übrig, schade – geben Sie einen schönen Eindruck von dieser Seite des Komponisten. Seine andere, die ihn dann auch sehr viel berühmter werden ließ, ist die Hinwendung zum Kabarerett. Blumenthal gehörte als „Henkersknecht“ dem  berühmten Münchner Emsemble „Die Zwölf Scharfrichter“ an. Er war zeitweise der musikalische Leiter, trat selbst mit eigenen Liedern zu Gitarre auf und galt als einer der besten Interpreten dieses Genres. Eine kurze Zeit half  seine Herkunft – sein Geld vor allem – das Ensemble trotz größter finanzieller Schwierigkeiten über Wasser zu halten. Nach der Auflösung der Scharfrichter verdingte er sich in verschiedensten Städten als beliebter und gefragter Sänger zur Gitarre, lebte mit seiner Familie in Berlin und starb schon mit 45 Jahren im Jahr 1919.

Zu seinen Kompositionen „ernster“ Musik, die zu den Semester-Abschlusskonzerten erklangen und durchaus auch von der Presse sehr wohlwollend aufgenommen wurden, ist zu bemerken, dass sie sich sowohl durch melodische, als auch harmonische und – vor allem in den Scherzo-Sätzen – rhythmische Finessen auszeichnen. Natürlich ist das alles Musik im Rahmen der Spätromantik, aber durchgehend im eigenem Ton und sehr gewandt komponiert, aber auch von den Ausführenden – die meist mit dem Münchner Kammerorchester verbunden sind – sehr engagiert und lebendig musiziert. Wenig begeistert bin ich dagegen von den vier Liedern, denn die hochdramatische Sopranstimme lässt dem Text und der Verbindung von Poesie und Musik sehr wenig Raum. (Sandro Blumenthal muss als Vortragender seiner Lieder zur Gitarre ein Phänomen an Aussage und Verständlichkeit gewesen sein!) Eine lohnenswerte Entdeckung ist diese CD allemal, lässt sie doch auch neben den Münchner Größen eines Thomas Mann oder eines Richard Strauss eine andere – für die Kultur der damaligen Stadt nicht weniger wichtige Figur -lebendig werden. Ganz persönlich für mich selbst, habe ich doch meine Ausbildung als Sänger und Gitarrist bei Kurt Weinhöppel in München erhalten, dessen Vater – Richard Weinhöppel – unter dem Namen Hannes Ruch ebenfalls einer der maßgeblichen Komponisten der „Zwölf Scharfrichter“ war.

[Ulrich Hermann, Oktober 2017]