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Cellovirtuose und Autodidakt

Hyperion CDA68063, EAN: 0 34571 28063 9

Fitzenhagen_Cover

Im Rahmen der Reihe „The Romantic Cello Concerto“, Vol. 7 präsentiert der Cellist Alban Gerhardt zusammen mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin unter der Leitung Stefan Bluniers gewichtige Werke des Cellisten Wilhelm Fitzenhagen (1848 – 1890), also neben seiner vielgespielten Bearbeitung von Tschaikowskys Rokokovariationen Op. 33 vor allem Eigenkompositionen: seine beiden Cellokonzerte, die Resignation Op. 8 sowie die Ballade Op. 10.

Sowie man das erste Cellokonzert hört, ist keineswegs zu leugnen, dass Fitzenhagen ein Meister seines Instruments war und diesem auch eigene Erfindungen zuzueignen wusste. Der erste Satz seines 1870 entstandenen Konzerts op. 2, Allegro moderato, lebt von einer einfallsreich durchgesponnenen Sololinie des Cellos, bei der sich technische wie dramaturgische Raffinessen gut die Waage halten. Zu Fitzenhagen als Komponist schreibt Nigel Simeone im durchweg informativen Booklet, er habe „größere (…) Ambitionen“ gehegt. In Bezug auf das Orchester hat sich der kompositorische Autodidakt dabei auf das Nötigste beschränkt, da er ihm, trotz einiger Momente orchestraler Eigenständigkeit, lediglich eine begleitende Rolle zuweist. Gleiches gilt für das Andante, einer lyrische Kantilene. Im abschließenden Allegro (quasi moderato) ist das Wechselspiel zwischen Solist und Orchester balancierter entwickelt, obgleich Fitzenhagen niemals den konzertanten Grundgedanken seines Konzertes hintenanstellt. Größere symphonische Dimensionen, wie etwa bei Dvořák, sucht man hier natürlich vergebens.

Nicht zu Unrecht schreibt Simeone, dass im darauffolgenden a-Moll-Konzert op. 4 ein Bezug zu Schumann besteht, und das Werk unterscheidet sich sowohl in Tonart als auch Agogik und Stimmung deutlich von seinem Vorgänger. Jedenfalls setzt Fitzenhagen das Orchester wie einzelne Instrumente (wie nun auch die Harfe im Mittelsatz) gezielter ein, um der Musik mehr Tiefe und Dramatik zu verleihen. Seine Weiterentwicklung als Komponist merkt man auch an der Führung der Cellostimme, deren Virtuosität nun weniger auf artistischen Effekten als Ausgestaltung der Ideen basiert. Auch der Mittelsatz, wieder ein Andante, beschränkt sich auf kein bloßes begleitetes Lied für Violoncello und Orchester, sondern enthält ebenfalls konzertante Momente sowie einen dramatischen Mittelteil. Originell im umfangreichen und durchaus komplexen Schlusssatz Allegro moderato ist der Dialog des Solisten mit dem ersten Cellisten des Orchesters, eine Praxis, die nun weit auf Konzerte des 20. Jahrhunderts vorausblickt. Auch die Kadenz ist strukturell mehr in die Thematik eingebunden als im früheren Geschwisterwerk, was zur Entstehungszeit dieses Konzerts allerdings keine Besonderheit mehr war.

Um hier nun auch die Ausführenden der CD zu erwähnen: Als würdiger „Partner“ des Solisten Alban Gerhardt erweist sich das Deutsche Symphonieorchester Berlin unter der kontrollierten Stabführung Stefan Bluniers. Auch wenn keine besonderen technischen Herausforderungen an den Klangkörper bestehen, verstehen die Musiker es, stets die ideale Balance zwischen Begleitung und Eigenständigkeit zu finden und insgesamt sauber spielen. Alban Gerhardt zeigt in seinem Spiel durchweg konsequenten Gestaltungswillen, unterschätzt jedoch gelegentlich die horrenden Anforderungen seines Instrumentes, wodurch gerade besonders virtuose Passagen etwas unrein klingen und ein manchmal etwas hölzerner Eindruck entsteht.

Zu Tschaikowskys Variationen über ein Rokokothema Op. 33, das Werk, mit dem Fitzenhagen über die Zeiten hinweg präsent geblieben ist, gibt es nichts Neues zu sagen. Hier lohnt sich wieder das Studium des Booklets, wo Simeone sehr präzise die Veränderungen beschreibt, die der Bearbeiter am Werk Tschaikowskys vornahm, und welche Konsequenzen in Bezug auf die Originalgestalt sich daraus ergaben. Auch hier gilt: Gerhardt gibt sich Mühe, dem Werk Charakter zu verleihen, was in den Variationen meistens gelingt, jedoch im Finale eher auf der Strecke bleibt, denn zu etüdenhaft und gehetzt klingt sein Spiel hier.

Sehr innovativ ist Fitzenhagens Ballade op. 10. Nicht nur die Fähigkeit zur Instrumentierung hat hier ein neues Niveau erreicht. Die Tatsache, dass es sich hier um ein einzelnes Konzertstück handelt, gibt dem Werk mehr Raum zur strukturellen Entfaltung. Dabei stört es nicht allzu sehr, dass Fitzenhagen oftmals auf bloße Motivwiederholung setzt. Die beschließende Resignation op. 8, ein geistliches Lied ohne Worte, zeigt einmal mehr, wie ernsthaft dem Komponisten daran gelegen war, die Kenntnisse um sein Instrument mit künstlerischer Eigenschöpfung zu verknüpfen. In der Tat handelt es sich weder um ein endlos düster gestimmtes Tongemälde noch um eine sentimentale Zugabe, sondern um ein formal geschlossenes Werk, welches Gerhardt und das Orchester mit gemessener Ernsthaftigkeit wiedergeben.

Zusammenfassend leistet die vorliegende Einspielung das unbestreitbare Verdienst, hörenswerte unbekannte Werke zu Tage zu fördern. Fitzenhagen selbst blieb dabei ein Musiker, der als Cellist ohne Zweifel glänzend war, als Komponist zwar durchaus große Ideen und Arbeitswillen hatte, aber eine unverwechselbare künstlerische Stimme nicht finden konnte.

[Peter Fröhlich, Januar 2016]