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Vom Unbekannten bis zur „Symphonie Classique“

„Symphonie Classique“ betitelt das Orchester der Akademie St. Blasius ihr erstes Abokonzert des Jahres am 7. April 2019 im Haus der Musik Innsbruck. Auf dem Programm steht „Orakel“ für Streichorchester von Günter Zobl, das Konzert für Klavier und Streicherorchester op. 136 von Alfred Schnittke mit dem Solisten Michael Schöch, Alexander von Zemlinskys „Waldgespräch“ mit der Sopranistin Susanne Langbein sowie Joseph Haydns Symphonie D-Dur Hob. I:104, die „7. Londoner“. Geleitet wird das Orchester von Karlheinz Siessl.

Werke aus vier Jahrhunderten umfasst das Programm des Orchesters der Akademie St. Blasius unter Karlheinz Siessl. Die Musiker haben es sich zur Aufgabe gemacht, aufgeschlossenen Hörern auch unbekannte Musik näherzubringen und lebende Komponisten aus Tirol zu fördern.

Eröffnet wird das Programm vom fünfsätzigen Streichorchesterstück Orakel von Günter Zobl. Der Komponist erforscht das Suchen und das Ambivalent-Rätselhafte, wozu er herbe Kontraste und unterschiedliche Techniken verwendet. Rhythmisch aufreibende Passagen wechseln sich mit weittragenden Melodien ab. Im Präludium tauchen moderne Streichertechniken auf, die eine surreale Atmosphäre schaffen, in welche die folgenden zwei Sätze wie Träume hineintreten; große Linien und ein sonor reibender Streicherklang – der recht nordisch wirkt – öffnen den Raum. Es folgt ein rascher Basso ostinato, mit dem die hohen Streicher spielen und hinreißende Ideen präsentieren. Und schließlich führt ein ruhiger Satz die Musik zu einem Ende, wenngleich sie nicht wirklich abschließt, sondern auch in der Stille noch sucht, anstatt gefunden zu haben.

Alfred Schnittkes zweites Klavierkonzert op. 136 ist ein Meisterstück der Polystilistik, das trotz unterschiedlichster Einflüsse und streng durchdachten Aufbaus doch rein musikalischer Erfindungsgabe entspringt. Ungekünstelt und intuitiv passen sich die Fragmente und Melodiesplitter zusammen und das Werk gibt als Gesamtheit Sinn. Die Streicher bestechen durch hoch expressiven Klang, Sensibilität für die Vielseitigkeit und durch ihre ausgesprochen schnellen Wechsel zwischen den unterschiedlichen musikalischen Welten. Michael Schöch dagegen steht da wie ein Felsen in der Brandung: Alles um ihn herum explodiert vor Ausdruck und Innigkeit, während er davon unbeeindruckt nüchtern, fokussiert und gebändigt bleibt. Als Zugabe des Solisten gibt es noch Haydn, der durch überhaspeltes Tempo seine Konturen und sogar die Gestalt seines Hauptthemas verliert – hier war wohl die Freude nach dem siegreich bestrittenen Klavierkonzert übergroß.

Die Musik Zemlinskys steht nach wie vor im Schatten von Mahler, von Strauss und später auch von Schönberg, dabei birgt sie so viel Eigenes! Die Orchestration Zemlinskys ähnelt zwar durchaus derjenigen seiner genannten Kollegen, unterscheidet sich aber doch durch eine gewisse träumerische Note (nicht bloß im Traumgörge) und einen zarten Schleier, der gezielt manche Konturen verwischt. Im „Waldgespräch“ fügt er dem Streichorchester noch zwei Hörner und Harfe hinzu, Eichendorffs Text vertraut er einem opernhaften Sopran an. Die Harfe sorgt für den Schleier, während die Hörner den Text in zwei Sinngruppen gliedert: Das Schöne, Heroische inklusive dem Jagdaspekt gegen das Düstere, Gespenstische und Suchende der Hexensphäre. Wir erleben nun ganz andere Klangwelten des Orchesters der Akademie St. Blasius unter Karlheinz Siessl, sensibel auf die Empfindsamkeit des Stücks eingehend, ertasten die Musiker die beiden Sinngruppen und erfüllen sie jeweils mit Leben. Susanne Langbein präsentiert eine facettenreiche und ausdrucksstarke Stimme, die sich von beinahe rezitierten mühelos bis in durchdringend kräftige Passagen aufschwingen kann und genau so leichtfüßig wieder hinabsteigt. Der Text bleibt zwar nicht durchgehend verständlich (was bei Zemlinsky eh eine Kunst für sich ist), dafür findet die Solistin unzählige Farben und Schattierungen der Stimme, die sie in einen schlüssigen Kontext bringt.

Zum Abschluss des Programms hören wir noch die versprochene „Symphony Classique“, wenngleich nicht wie vielleicht erwartet die so betitelte Erste von Prokofieff, sondern eine wirklich der ‚klassischen‘ Epochen entstammende: Haydns letzte Symphonie, die Nr. 104 mit dem später hinzugefügten Beinamen „Londoner“. Selten erlebt man dieses vielgespielte Werk derart lebendig und frisch wie heute. Auch hier zeigen die Musiker ihr charakteristisches echtes Gefühl, das unabhängig von Epoche oder Komponist stets für die Musik spricht. Die Musiker haben sich intensiv und auch emotional mit den Werken auseinandergesetzt und stellen die Musik dar, weil es ihnen ein Anliegen ist – und das wird hörbar.

[Oliver Fraenzke, April 2019]

Fortsetzungsoratorien

MusikMuseum, CD13013; EAN: 9 079700 069502

MusikMuseum, CD13028; EAN: 9 079700 700153

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Chor und Orchester der Akademie St. Blasius spielen auf zwei voneinander unabhängig erschienenen CDs die beiden großen Oratorien des tirolischen Komponisten Franz Baur, „Genesis“ und „Amartema – Der Sündenfall“. Andreas Mattersberger übernimmt die Rolle des Bassbariton-Solos, in barocker Manier Erzähler des Bibeltextes, Susanna Langbein singt Sopran und in ”Amartema” kommt Bernhard Landauer als Altus hinzu. Das Orchester wird von seinem Chefdirigenten Karlheinz Siessl geleitet.

Es sind Oratorien vom Beginn der Welt und Ursprung unseres heutigen Bewusstseins, Oratorien des Aufkeimens und schlussendlich des Falls in den Zustand, der unsere jetzige Realität darstellt. Entstehung und Verstoßung, der in Tirol geborene Komponist und Philosoph rollt die Bibel von ihren Anfängen her auf und erfüllt die ersten Kapitel mit seinen Klängen und Gedanken. Durch das aufeinander aufbauende Geschehen gehören die beiden Musikwerke letztlich zusammen, aber Franz Baur gestaltet sie auf vollkommen unterschiedliche Weise.

Das betrifft schon die Besetzung, denn während Genesis das Orchester stark zurücknimmt und nur Streicher, Schlagwerk sowie zum Höhepunkt hin zwei Hörner verwendet, spannt Amartema das gesamte Orchester ein, macht zudem ausgiebigen Gebrauch von drei Solisten, wo Genesis mit einer Bassbaritonrolle und einer kleineren Sopranpartie auskommt. Die Schöpfung hat eine ganz klare Aufteilung in die sieben Tage, welche durch kurze Sprechpartien unterteilt und doch musikalisch eben dadurch auch zusammengehalten werden, während der Sündenfall zwar in fünf Teile plus Epilog (erste drei Teile: Paradies; vierter und fünfter Teil: Sündenfall) gegliedert ist, diese jedoch bruchlos ineinander übergehen. So stellt sich Baur vor unterschiedliche Herausforderungen: in Genesis verwendet er für jeden Tag eine andere Kompositionstechnik, die er über diese Kontraste hinaus sinnvoll korrelieren muss, in Amartema hat er die gesamte „himmlische Länge“ eines Oratoriums musikalisch zu erfüllen, ohne dass Gleichförmigkeit entsteht. Genesis zieht viel klanglichen Reiz aus additiven Prinzipien, indem zu einem etablierten Ton neue Klänge hinzutreten und sich eine Kon- oder auch eben Dissonanz bildet, die der Hörer beim Entstehen mitverfolgen kann – wenn man so will, eine Weiterführung der Idee, die Ligeti zu Beginn seines Lux aeterna verfolgte. Amartema hat aufgrund der größeren Besetzung mehr Möglichkeiten, auf den Text einzugehen und diesen subtil zu illustrieren. Baur schafft es dabei, niemals plakativ zu werden, wobei die Stimme stets im Vordergrund steht. Oft haben die Instrumentalisten kleine Patterns, über denen sich Soli oder Chor aufbauen, gerne nutzt Baur eine zentrierende Orgelpunkt-Wirkung.

Von zentraler Bedeutung ist hier die sängerische Leistung der Solisten. Stimmlich können sie alle drei voll überzeugen und befriedigen mit voller Textverständlichkeit. Beim Bassbariton Andreas Mattersberger geschieht dies zwar um den Preis einiger Konsonant-Überakzentuierungen – was man allerdings durch die heute herrschende Mode so gewöhnt ist, dass man es kaum mehr wahrnimmt -, doch seine sonore Stimme und musikalische und zugleich parlierende Phrasengestaltung lassen leicht darüber hinwegsehen. Geschickt war die Wahl, Bernhard Landauer als Altus für die Schlange einzusetzen: Die Stimme ist lupenrein in der Höhe und verleugnet doch nicht, dass es sich um eine Männerstimme handelt, was der Schlange gewissermaßen die „gespaltene Zunge“ verleiht und damit einen besonders überzeugenden Effekt einbringt. Das Verhältnis zwischen Vokalen und Konsonanten ist fein abgestimmt bei Susanne Langbein, deren golden schimmernder Stimmklang fast schon prädestiniert ist für die Partie als Gott.

Das Orchester agiert zwar größtenteils recht ruhig im Hintergrund, doch dabei weiß es um seine Wichtigkeit für die volle Entfaltung dieser Oratorien. Entsprechend ist jedes noch so unscheinbare Motiv und jede noch so hintergründige Stimme integriert und reflektiert. Es muss eine gewaltige Anzahl an Proben hinter diesen Aufnahmen stecken, um solch eine subtile und ausdrucksvolle Untermalung zu bieten, die vermutlich vielen nicht einmal bewusst auffallen dürfte. Karlheinz Siessl dirigiert mit Liebe zum Detail und überhaupt zur Musik, was sich unüberhörbar auf seine Musiker überträgt. Die Akademie St. Blasius setzt nicht auf profitable Programme oder raschen Erfolg, alle dienen der Musik und den Komponisten, die sie für unterstützenswert halten – und so wäre es wünschenswert, dass auch dieses Orchester einmal groß unterstützt und ihm der Platz in der heutigen Orchesterwelt gegeben werden würde, der ihm eigentlich rein qualitativ zusteht.

[Oliver Fraenzke, Oktober 2017]