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Lustig war gestern

GIUDITTA
Musikalische Komödie von Franz Lehár
Christiane Libor, Sopran
Laura Scherwitzl, Sopran
Nikolai Schukoff, Tenor
Chor des Bayerischen Rundfunks
Münchner Rundfunkorchester
Ulf Schirmer
cpo 777 749-2
EAN: 761203774920

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Niemand sollte das Unterfangen wagen, ein Musikdrama nur anhand eines Tondokumentes zu besprechen. Viele Stimmen klingen auf Platte prächtig, bewegen sich aber als Person im Theater kaum und entbehren da jeder Ausstrahlung. Die Stimme allein macht keinen Künstler auf der Bühne aus – Präsenz, Bewegung, Charisma und Musik – werden erst zusammen ein: Gesamtkunstwerk.

Lehár, einer der produktivsten und erfolgreichsten Komponisten des 20. Jahrhunderts, verschrieb sich fast gänzlich dem Genre der Operette. Zu ihrer frühen Zeit – der Frechdachs der musikalischen Bühne! Hier wurden Konventionen der Gesellschaft auf komödiantische Weise unterminiert – die Ständegesellschaft, die heuchlerische Moral. Und das allpräsente Pathos der Kaiserzeiten – Militarismus, nationaler Wahn:  Alles versank heiter im Walzer- und Polka-Schwung.

Lehár nennt seine finale Operette GIUDITTA eine „musikalische Komödie“. Also nicht mehr Operette. Das ist eine bewusste Irreführung. Komische Handlung keineswegs – oder was ist lustig daran: ein (sorry) ziemliches männliches Weichei, aber offenbar fesch, verliebt sich in eine Frau, die selbstbestimmt und ihrer Wirkung bewusst nur den Auslöser sucht, der es ihr erlaubt, ihrer erstarrten Beziehung zu entfliehen. Protagonistin GIUDITTA : eine nicht-mehr LULU. Kein Wesen mehr, das, ohne Willen, Begierde und Leid erzeugt. Ganz sicher ihrer Wirkung auf Männer und eigener erotischen Bedürfnisse bewusst. Ihren langweiligen Ehemann verlässt sie schleunigst für einen (vermeintlich) schneidigen Offizier, der in Afrika in der kurzen, wenig glücklichen, italienischen Kolonialzeit reüssieren will.

Und ihn ruft der Krieg. Sie will ihn ganz und halten und rät zur Desertion. Aber er geht. GIUDITTA  muss sich abwenden, zieht weiter und wird von begehrenden Bewunderern umringt.

„Meine Lippen die küssen so heiß“, die bekannteste Nummer des Stücks. Die Melodie stellt ihre Opfer-Täterrolle klar: Begehrte und Begehrende. Zu Lehárs Zeiten ein Wagnis auf der Bühne. Eine moderne Frau.

Das hat mit Romantik nichts mehr zu tun. GIUDITTA dokumentiert eine Zeitenwende: „vom wissend-würde-ein-Weib“ hin zur Frau, die von vornherein ganz weiß, was sie will. Die Tragik dabei, die aber keine ist: ihr Geliebter verfällt ihr, aber seine Liebe ertrinkt in Selbstzweifel und Unfähigkeit. Ihren Lebenshunger vermag er, gefangen in Konvention, nicht zu erfüllen. Er versagt angesichts ihres Anspruchs auf umfassende und körperliche Liebe und sein vermeintlich zwingendes Pflichtgefühl gibt ihm die Gelegenheit, ihr zu entfliehen. Um im Selbstmitleid sein eigenes Scheitern sich als eine fatale Verstrickung widriger Umstände zu erklären.

Am Ende des Werkes klimpert er ihr auf einem Hotelpiano noch wenige sentimentale Akkorde hinterher, während sie mit ihrem neuen Liebhaber soupieren will.

GIUDITTA dekonstruiert bereits in den 1930er Jahren, was heute längst entsorgt ist: die „romantische“ Vorstellung von Liebe, die alle Widerstände überwindet und in vollendeter Zweisamkeit Glück und Erfüllung findet. Und das möglichst auf ewig.

Franz Lehárs Musik: Die Operette ist welk geworden. Lustig war gestern. Er vermag jedoch durch seine überströmende sinnliche Erfindung, mit der (für „Operette“ etwas dicklich) schimmernden Instrumentation, schmelzenden, sangbaren Linien von Beginn an zu fesseln. Und zu verzaubern. Puccini klingt nach, Huppertz, der Komponist des Films „Metropolis“ ist ein überraschender Genosse im Duktus. Bernsteins „West Side Story“ – nicht weit hinterm noch dunklen Horizont.

Das Münchener Rundfunkorchester, der Chor des Bayerischen Rundfunks unter Ulf Schirmer – und die vielen Vokal-Solisten: Frau Libor ZUERST und Frau Scherwitzl für ALLE genannt:

Die Textverständlichkeit ist vorbildlich. Alle Mitwirkenden sind mit hörbarer Freude dabei. Durchsichtiger Klang. Großartige Leistung. Ein rundum-sorglos Glück!

GIUDITTA gehört auf die Bühne. Nicht auf eine CD – aber wenn es so schön und spannend gerät, wie in dieser Einspielung: diese muss in die CD-Regale all jener, die Musik lieben!

Nur einen Beckmesser-Tafelstrich: kein Textbuch im Booklet! Zumindest einen Link auf eine Webseite, wo das Fehlende verfügbar ist, sollte sein. Gibt es nicht auch Menschen, die mitlesen wollen? Jene zuerst, die deutscher Sprache nicht mächtig sind, aber es anhand von etwas Schönem rascher zu lernen wünschten?

[Stefan Reik, Juni 2016]

Im Zwiespalt

David Pia
Münchner Rundfunkorchester / Ulf Schirmer

Eugen d’Albert (1864-1932)
Konzert für Violoncello und Orchester C-Dur op. 20 (1899)
Max Bruch (1838-1920)
Kol Nidrei für Violoncello und Orchester op. 47
Ernst von Dohnányi (1877-1960)
Konzertstück D-Dur für Violoncello mit Orchester op. 12 (1903/04)
Max Bruch
Canzone für Violoncello und Orchester op. 55 (1891)

Farao Classics    B 108089
4 025438 080895

Ulrich0017

Diese CD hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck: Einerseits ist die Musik in allen Stücken wunderschön und ungeheuer melodisch, was ja auch  d i e  Stärke des Instruments Violoncello ist – kein Wunder, dass der einzig mich überzeugende Gitarrist, nämlich Julian Bream, eben einst auch Cello studiert hat, weswegen er auch wusste, wie man auf der klassischen Gitarre melodiös spielt, ganz im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen. Und alles, was den Solisten David Pia (geb. 1982) angeht und sein Spiel auf dem Stradivari-Cello von 1698, das ist absolut überzeugend in allen Bereichen, tonlich, gesanglich, emotional und musikalisch bewegt und bewegend, wie man es sich eigentlich nicht besser wünschen kann. Und zu allermeist ist auch die Begleitung des Münchner Rundfunkorchesters unter Ulf Schirmer technisch adäquat, besonders in den leisen Stellen, im piano oder pianissimo. Wird es aber laut, dann fährt einem der Schreck in die Glieder, den da entsteht an manchen Stellen einfach undifferenzierter Lärm. Von Struktur oder erkennbarem musikalischem Aufbau kann dann gar nicht mehr die Rede sein.  Beispiel: zweiter Satz der Canzone von Max Bruch, wo das Orchester an einer Forte-Stelle einfach „losplärrt“, schade!
Auch die Pauke im letzten Satz spielt leider einfach nur zusammenhangslose Noten, und differenziert den Dreier-Rhythmus überhaupt nicht, sind ja doch alles gleiche Noten, die da stehen – nein, von wegen!!
Auch fällt auf, dass an Stellen, wo eine Phrase oder ein Akkord im Orchester wiederholt wird, oft einfach nur dasselbe starr wiederholt wird, statt es  w i e d e r  zu holen, denn es gibt prinzipiell in der Musik keine Wiederholung, sondern ist etwas physikalisch scheinbar gleich, dann ist das zweite Mal doch nie unbeeinflusst vom erstmaligen Erklingen.
Aber das ist wohl für viele Musiker viel zu viel der Vertiefung, und solche Gedanken – das hält ja nur vom Üben ab!
Andererseits ist die Musik so überzeugend in den meisten Momenten, dass diese CD über weite Strecken eben nicht mit den altgedienten Cello-Schlachtrössern prunkt, sondern den Hörer mit Musik bekannt macht, die es verdient, öfter im Konzert gehört zu werden – was jetzt nicht für Kol Nidrei von Max Bruch gilt, das ja durchaus schon lange ein „Reißer“ ist. Aber für das wunderschön melodiöse Konzert von d’Albert und das – längere! – mächtige Konzertstück von Dohnányi gilt das natürlich nicht, das ist eine echte Bereicherung im Repertoire.

[Ulrich Hermann, Februar 2016]