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Purer Gesang

Musikproduktion Dabringhaus und Grimm, MDG 901 1964-6; EAN: 7 60623 19646 6

Gemeinsam mit den Hamburger Symphonikern spielt Vladimir Soltan für die Musikproduktion Dabringhaus und Grimm Klarinettenkonzerte von Carl Nielsen und Jean Françaix ein sowie die Première Rhapsodie für Klarinette und Orchester von Claude Debussy.

Drei vergleichsweise selten zu hörende Klarinettenkonzerte offeriert das Debütalbum von Vladimir Soltan (ob er mit dem gleichnamigen weißrussischen Komponisten verwandt ist?). Als „neue Klarinettenkonzerte“ bewarb er dieses Projekt auf Startnext und konnte es so via Croudfunding finanzieren – wie dort zu entnehmen, sollte statt Debussy übrigens ursprünglich das Konzert von Henri Tomasi zu hören sein.

Eine wahre Perle der Klarinettenkonzertliteratur ist das Opus 57 des Dänen Carl Nielsen, dessen Musik nach wie vor hierzulande viel zu wenig bekannt ist. Während seine Symphonien, eine Auswahl seiner Kammermusik und sein Violinkonzert mit Glück noch manchmal live zu erleben sind, kennt kaum jemand seine beiden Opern außer deren Ouvertüren oder seine späten Bläserkonzerte – eines für Flöte und das hier vorliegende für Klarinette. Der einsätzige Opus 57 glänzt durch kreative Formerweiterungen, die trotz weiter Räume steten Zusammenhang haben, die bestechen durch eingängige Melodien und das unerhörte Charakteristikum des Konzerts, dem Solisten eine kleine Trommel als „Duettpartner“ beizugesellen – welch ein herrlicher und unverwechselbarer Einfall! Die Première Rhapsodie für Klarinette und Orchester von Claude Debussy zeigt den Komponisten in voller Pracht und beeindruckender Schönheit mit zarten Melodien, fließenden Übergängen und höchster Kunst der Instrumentation auf Grundlage der ursprünglichen Klavierbegleitung. Eine Renaissance – nein, eine Naissance – darf endlich die Musik von Jean Françaix erfahren, der nun immer häufiger im Konzert gehört werden kann und eingespielt wird. Knappe zwanzig Jahre nach seinem Tod wird man auf die elegante Musik des Franzosen aufmerksam, die eine heitere Leichtigkeit und unverstellte Natürlichkeit versprüht, treibende Rhythmen und tänzerische Heiterkeit, die dennoch höchste Ansprüche vertritt und zu keiner Sekunde ihre hohe Inspiration verliert oder spannungsmäßig abfällt.

Widerpart des weißrussischen Klarinettisten sind die Hamburger Symphoniker unter José Luiz Gomez. Der Klangkörper bietet eine solide Klanggrundlage in warmem und dichtem Gestus, aus welchem Gomez in den meisten Fällen alle wichtigen Stimmen hervortreten lassen kann. Die orchesterinternen Solisten fallen durch ein hohes Maß an Musikalität und Integration ihrer Soli in den Fluss des Geschehens auf. Die Tempowechsel in Nielsens Konzert geraten hingegen oft unorganisch und stockend, allgemein verliert Gomez phasenweise die klare strukturelle Orientierung und agiert folglich etwas benebelt.

Eine wahrhafte und kontinuierliche Freude beim Zuhören löst Vladimir Soltan aus. Nicht nur, dass er sein Instrument bis ins letzte Detail beherrscht, nein, auch einen besonderen Klang entlockt er ihm. Es ist purer Gesang, der der Klarinette entströmt, sei es in zarten Kantilenen, in großen Tutti oder halsbrecherischen Läufen, die bei Soltan eine beherzte Frische und Heiterkeit atmen und niemals das Ideal der menschlichen Stimme vergessen. Die Regel bestätigen wenige Ausnahmefälle, wenn Soltan gegen das volle Orchester anzukämpfen hat, wobei dies den unter Gomez zu massiv agierenden Symphonikern geschuldet ist und nicht dem Solisten, der nur seine Hauptstimme verteidigen muss. Vladimir Soltan besticht mit beeindruckendem Einfühlungsvermögen in die Musik und versteht tiefe Zusammenhänge wie auch den lyrischen Moment, welchen er auszukosten vermag.

Auf ein zweites Album kann man sich nur freuen und hoffen, dass Soltan noch mehr unbekannte Klarinettenliteratur in überzeugender Darbietung ins Licht rücken kann.

[Oliver Fraenzke, Juli 2016]

cpo schlägt wieder zu

Friedrich Gernsheim  (1839-1916)

Violinkonzert Nr. 1 op. 42 in D-Dur
Fantasiestück für Violine und Orchester op. 33 in D-Dur
Violinkonzert Nr. 2 op. 86 in F-Dur

Linus Roth, Violine
Hamburger Symphoniker
Johannes Zurl

cpo 777 861 – 2
7 61203 78612 1

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Friedrich Gernsheim? Nie gehört!
Und wieder hat cpo „zugeschlagen“ und eine CD veröffentlicht, die grandiose unbekannte Musik bereithält. „Das Wichtigste in der Musik, mein Freund, ist die Melodie!“, soll Gioacchino Rossini zu Gernsheim in Paris gesagt haben. Gernsheim hat sich daran gehalten, denn seine drei Kompositionen auf dieser CD – die beiden Violinkonzerte und das Fantasiestück für Violine und Orchester – stecken voller erinnerungswürdigen Melodien – welch eine wunderbare Neuentdeckung eines Komponisten, an dem sich sicher viele seiner Vorbilder fest machen lassen, der aber doch einen ganz eigenen Stil und seine ureigensten Klänge und musikalischen Strukturen komponiert hat, die äußerst ansprechend und mitreißend sind.

Schon der Anfang des ersten Konzerts, bevor der Solist – hervorragend Linus Roth! – nach 54 Takten einsetzt, sind überraschend und machen neugierig auf das, was folgt. In Satz 1 und 2 hat der Solist Gelegenheit, in zwei brillianten Kadenzen seine ganze Kunst und sein Können zu zeigen. Von D-Dur im ersten Satz moduliert der zweite nach E-Dur, und dann ist H-Dur dran, also nicht allzu klassisch. Wobei dem Komponisten, der schon früh als Wunderkind auf Klavier und Geige reüssierte – das Booklet von Jens Laurson gibt reiche Auskunft über Weg und Schicksal des Komponisten –, das allzu Klassische vermutlich kaum wichtig gewesen sein dürfte. Seine Musik klingt jedenfalls so überzeugend und frisch, dass es hoffentlich bald viele weitere CDs mit Musik von Friedrich Gernsheim geben wird.

Auch das Fantasiestück op. 33 für Violine und Orchester ist eine gelungene, melodiöse Komposition, und ganz besonders das zweite Violin-Konzert op. 86 in F-Dur, das mit einer unerhört spielfreudigen und bewegenden Musik aufwartet. Der dritte Satz ist ein richtiger rhythmischer und  virtuoser „Reißer“.

Wie gut, dass der interessierte Hörer, die interessierte Hörerin vieles von Gernsheim via Internet mitlesen oder sogar ausdrucken kann, das gibt doch einen ganz anderen Einblick in die Kompositionen, in die Potenziale dieser Musik. Zusammen mit den engagierten Plattenfirmen wird so der sowieso schon riesige Kosmos der Musik auf erfreuliche und oft überraschende Weise erweitert, auch wenn der allgemeine Musikbetrieb – von wenigen Ausnahmen abgesehen – immer noch die gleiche Repertoire-Einfalt breit und breiter vor sich herschiebt. Aber freuen wir uns über das Erfreuliche, denn dort liegt die Zukunft, auch wenn sie vor langer Zeit ins Leben gerufen wurde. Neben Mendelssohn, Schumann, Brahms, Bruch, Strauss, Busoni und Pfitzner, auch den großen Außenseitern Hermann Goetz und Hans Huber, hat das deutschsprachige Musikleben der romantischen Epoche so wunderbare Violinkonzerte wie die beiden Gernsheim’schen hervorgebracht, das lässt uns beinahe ungläubig staunen, wie hoch die Qualität des Wiederzuentdeckenden sein kann.

[Ulrich Hermann, März 2016]