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Die Gegenwart der Symphonie

Die Vierte Symphonie von Michael F. P. Huber erlebt am 26. März 2017 ihre Uraufführung im Rahmen eines Abonnementkonzerts des Akademieorchesters St. Blasius unter Karlheinz Siessl im „Vier und Einzig“, Hallerstraße 41 in Innsbruck. Maria Ladurner singt dabei die Solo-Vocalise im Finale. In der zweiten Hälfte gibt es das recht selten zu hörende Klavierkonzert op. 33 von Antonin Dvořák mit Michael Schöch am Klavier, der erst letztes Jahr das Klavierkonzert Hubers aus der Taufe hob.

Mehrfach verschlug es mich bereits nach Innsbruck für Aufführungen der Werke von Michael F. P. Huber – so erlebte ich letztes Jahr die Premiere des Klavierkonzerts und diejenige der Kammersymphonie. Entsprechend konnte ich es mir natürlich nicht nehmen lassen, nun auch zur Uraufführung der großen Vierten Symphonie nach Österreich zu reisen – und einmal mehr wurde ich nicht enttäuscht!

Die Symphonie Nr. 4 op. 64 ist ein gewaltiges Werk von etwa fünfzig Minuten Länge und ihre Entstehung wurde durch das Hilde-Zach-Kompositionsstipendium 2016 ermöglicht. Der Orchesterbesetzung wird sinnstiftendes Schlagwerk inklusive Röhrenglocken und Peitsche hinzugefügt, im Finale ist zudem eine Sopran-Vocalise zu hören. Mit einem gewaltigen Aufschrei beginnt das Lento lugubre des Kopfsatzes, des dichtesten und komplexesten Satzes der Symphonie. Düstere Bläserchoräle und donnerndes Aufbegehren erzielen eine pechschwarze Wirkung, entfachen sogleich ihren Bann. Immer wieder geschieht etwas Unvorhergesehenes, und doch behält dieser Mammutsatz seine Kontur und alles fügt sich zu einer zusammengehörigen Einheit. Giocombra ist der Mittelsatz betitelt: Ein Spiel, aber was für eines! Von den ersten Takten beginnend hebt eine Tarantella an, in rasendem Tempo und wildem Gestus. Immer verrückter wird dieser Höllenritt, bis sogar der Rhythmus zu einem 3/8+3/8+2/8 bricht und somit „verstolpert“. Einige aus der Avantgarde bekannte Geräuscheffekte sind gerade in den Bläserstimmen zu hören, allerdings eben nicht um des bloßen Geräusches Willen, sondern indem es sich verschärfend einfügt und Sinn ergibt. Das Finale ist eine „Lunaria“ mit Variationen, eine hinreißende Nocturne. Es ist tatsächlich eine Nocturne, und das in einem unverkennbaren Gestus. Wem sonst gelingt es, auf eine moderne, eigenständige und erneuernde Weise Formen wie eine Tarantella oder gar eine Nocturne, die ja hauptsächlich mit dem 19. und frühen 20. Jahrhundert assoziiert sind, zu schreiben, die tatsächlich heute noch funktionieren? Zwei Mal strebt die Nocturne in die Wildheit, fällt jedoch ebenso schnell wieder in die „komplexe Beschaulichkeit“ zurück und wird jedes Mal noch betörender in ihrer Wirkung. Gegen Ende kommt noch der Sopran hinzu, glasklar und unschuldig zärtlich aus der Kehle der jungen Sängerin Maria Ladurner, einem wahren Talent mit flexibler und farbenreicher Stimmgebung. Sogleich wird das Sopran-Motiv von den anderen Instrumenten aufgegriffen und im Schlagwerk gar ad absurdum geführt. Plötzlich fällt auf, dass das zarte Motiv schon bekannt ist, im ersten Satz erklang es und auch in der Giocombra war es zu hören – und die ganze Symphonie wird von hinten her zusammengeschweißt. Wie viele Zusammenhänge noch existieren, lässt ein erstes Hören nicht ergründen; doch alleine der Detailreichtum und die Stringenz, die unmittelbar ins Bewusstsein fallen, reichen aus, um von einer ganz großen Symphonie des 21. Jahrhunderts zu sprechen, die zum Substanziellsten der aktuellen deutschsprachigen Musikszene gehört.

Nach der Pause spielt Michael Schöch das Klavierkonzert Antinon Dvořáks, ein ausschweifendes und hochvirtuoses Werk in g-Moll mit entzückendem Mittelsatz in D-Dur, das den anderen beiden Solokonzerten des Komponisten nicht nachsteht. Das Spiel Schöchs lässt sich am ehesten durch das Wort „filigran“ beschreiben, der 1985 geborene Innsbrucker musiziert in größter Feingliedrigkeit mit einem Hauch fragiler Zartheit. In den schnellen Passagen perlen seine Finger geschmeidig, im ruhigeren Tempo hebt das Klavier zu singen an, voll Innerlichkeit und feinfühliger Aussagekraft. Wenn Schöch diese Ruhe und Tragfähigkeit des Klangs auch noch in die halsbrecherischen Stellen integrieren könnte, bliebe absolut nichts mehr an seinem ganz im Dienste der musikalischen Präsenz stehenden Spiel zu wünschen übrig. Als Zugabe gibt er Schumanns „Warum?“ aus den Fantasiestücken op. 12, das durch meditative Kraft bezaubert.

Nicht zuletzt das Orchester leistet Großes unter den führenden Händen seines Chefdirigenten Karlheinz Siessl. Technische wie expressive Potenz charakterisiert die Musiker, die trotz schwieriger Akustik alles nur mögliche aus den Partituren herausholen. Hubers Symphonie erstrahlt in mehrdimensionaler Vielschichtigkeit und Deutlichkeit, das Klavier in Dvořáks Konzert erhält einen gleichberechtigten Widerpart, der es aber auch nicht unterjocht.

Heute erlebten die Zuhörer im voll besetzten VierundEinzig Innsbruck die Gegenwart der Symphonie, einer oft vorschnell verloren geglaubten Gattung, der offenkundig noch eine große Zukunft gehört.

[Oliver Fraenzke, März 2017]

Eine Reise wert für dreizehn Minuten

Die Uraufführung von Michael F.P. Hubers Ĉambretosono op. 63 und Arnold Schönbergs zeitloses Meisterwerk Kammersymphonie Nr. 1 E-Dur op. 9 wurden am 16. Oktober 2016 neben „Niemals Real und Immer Wahr“ von Jamilia Jazylbekova und „Objet Diaphane – Kammersinfonie“ von Charlotte Seither im VIERundEINZIG in der Hallerstraße 41 Innsbruck dargeboten. Es spielte die Kapelle für Neue Musik Windkraft unter Leitung von Kasper de Roo.

Einmal wieder zieht es mich nach Österreich ins schöne Tirol, und zwar erneut zu einer Uraufführung des Tiroler Komponisten Michael F.P. Huber. Zumal die Zusammenstellung spannend ist, denn sein neues Werk, Ĉambretosono ist für exakt die gleiche Besetzung geschrieben wie Schönbergs Kammersymphonie, welche im direkten Anschluss erklingt. Doch zuvor widmet sich „Windkraft“, wie diese „Kapelle für Neue Musik“ sich nennt, unter Leitung von Kasper de Roo zwei zeitgenössischen Komponistinnen.

Das Programm beginnt mit der Kammersymphonie Objet Diaphane für 13 Instrumente von Charlotte Seither, einer prominenten Gallionsfigur der zeitgenössischen Musik, deren Name immer wieder auf großen Veranstaltungen ‚Neuer Musik’ zu lesen ist. Die Kammersymphonie war ein Auftragswerk der Berliner Philharmoniker und erhielt den ersten Preis beim Internationalen Kompositionswettbewerb Prager Frühling 1995. Das gesamte Werk zentriert sich statisch um Einzeltöne, um welche sich ohne jede innere Folgerichtigkeit durch kleine Sekunden entstehende grelle Dissonanzenreibungen kumulieren. Es gibt keinerlei Entwicklung, Melodie oder irgendetwas, das dem Ganzen Zusammenhang geben würde, wodurch der Terminus ‚Symphonie’ dem Werk an sich nicht entspricht.

Interessante akustische Effekte erklingen in Jamilia Jazylbekovas „Niemals Real und Immer Wahr“ (Jamais Réel et Toujours Vrai) von 2012. Sie vertraut auf das Arsenal der geräuschhaften Effekte inklusive Streichen auf dem Holz oder Blasen ins falsche Ende der Mundstücke. Dadurch mögen reizvolle Klänge entstehen und auch verharrt diese geräuschhafte Musik nicht leblos statisch auf einem Fleck. Jazylbekovas Werk spricht Zustände an und kursiert eindrucksvoll im Raum, bei Hinzunahme von einigen musikalisch verbindenden Elementen wie Melodie oder prägnanter Rhythmik wäre es sogar möglich, das Geschehen auf zusammenhängend mitvollziehbare Bahnen lenken zu können.

Es folgt die Uraufführung Michael F. P. Hubers, und die Zuhörer horchen plötzlich erstaunt auf. Dieses Werk sticht in seiner Musikalität und auch dem profunden Können turmhoch hervor, hier herrscht eine vielgestaltige und feingliedrige motivische Arbeit, die Musik ist von nachvollziehbarem Fluss, alles erscheint in sinnfälliger Abfolge. Auf einen hektisch-wilden Kopfsatz von höchster Schwierigkeit für alle Musiker (denen besonders hier großer Respekt zu zollen ist!) folgt ein ruhig dahingleitendes Andante, doch auch dieses hat einige Überraschungen parat und tänzelt zwischenzeitlich verspielt („Giocoso“), bevor es wieder in die Ruhe zurückgleitet. Der dritte Satz ist ein mitreißender Tanz, dessen Walzerrhythmus immer wieder gewollt ins Stolpern gerät, voll rhythmischer Vitalität und herrlicher Einfälle. Es macht wirklich Freude, dieses dreizehnminütige Werk zu hören, es ist für Kenner gleichsam wie für Liebhaber von überwältigendem Reiz und alleine schon die Reise wert.

Schade, dass man dies nicht über den ganzen Abends sagen kann. Gewiss, Schönbergs Kammersymphonie ist ein großartiges Werk der Pionierzeit der freien Tonalität, doch verlangt es von den Musikern und vor allem vom Dirigenten vieles – darunter auch vieles, was an diesem Abend nicht wirklich vorhanden ist. Kasper de Roo inspiriert nicht, er hält taktierend zusammen und zählt, wobei jedoch die musikalischer Arbeit nicht vollkommen ausreicht – was vermutlich hauptsächlich den zu kurz bemessenen Probenzeiten geschuldet ist. Folglich kann es nicht verwundern, dass auch diese groß dimensionierte Kammersymphonie auseinanderfällt, der Hörer geht verloren in den aneinandergereihten Klangtürmungen, die weder von der Dynamik noch von der Phrasierung her genügend erschlossen wurden. Kasper de Roo verbirgt sich hinter überhetzten Tempi (die Kammersymphonie dauert unter ihm lediglich 22 Minuten!), ein gemäßigteres Tempo würde eine substanziellere musikalische Aussage verlangen, als hier vorliegt, um nicht „langweilig“ zu wirken. Die Musiker beherrschen allesamt ihre Instrumente und können dies auch demonstrieren, wären sicherlich auch zu noch mehr fähig, doch bei der anscheinend an diesem Abend indispositionierten Leitung leidet auch die potentielle Qualität der Instrumentalisten. In den zeitgenössischen Kompositionen sind die Musiker zu Hause und blühen auf, bei Schönberg fällt hingegen der überakustische Raum ins Gewicht, der die Töne knallen lässt und einiges an hineingegebener Geschmeidigkeit raubt.

Ob ich es nun bereue, angesichts der genannten Kritikpunkte bis nach Innsbruck gefahren zu sein? Definitiv nicht, denn alleine dreizehn faszinierende Minuten Musik können fesseln und den Abend zum Erlebnis avancieren lassen.

 [Oliver Fraenzke, Oktober 2016]

Eine tanzende Klarinette

Musikmuseum 23, CD13022; EAN: 9 079700 700108

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Schon seit längerer Zeit verfolge ich die Aktivitäten des Innsbrucker Orchesters der Akademie St. Blasius unter Leitung seines Chefdirigenten Karlheinz Siessl. Immer wieder beeindruckt dieser Klangkörper mit reflektierten Darbietungen und interessanten Ausgrabungen nahezu vergessener Komponisten. Gerade der romantische Tiroler Symphoniker Rufinatscha wäre vermutlich ohne dieses Orchester auch weiterhin komplett in der Versenkung verschwunden geblieben. So konnte ich mir selbstverständlich auch die bislang neueste CD dieses Orchesters mit dem Titel „Veitstänze“ nicht entgehen lassen.

Der Tonträger enthält 23 größtenteils recht kurze Nummern in meist romantisierendem Gestus. Den Beginn machen die „Dance Preludes“ von Witołd Lutosławski, scheinbar flüchtig hingeworfene Stückchen von unsagbarem Witz und Spielfreude. Und zweifelsohne ist das große Genie Lutosławskis auch in diesen fast fragmentarischen Stücken auf der Basis polnischer Volkstänze unüberhörbar. Johann Baptist Gänsbacher, ein Schüler von unter anderem Antonio Salieri und Abbé Vogler, erweist sich in seinem Konzert für Klarinette und Orchester Es-Dur als ein sehr wacher Geist und bezaubert durch wendige und vielseitige Melodien und einen stets spannenden Dialog zwischen Solist und Orchester. Hier hat das Orchester der Akademie St. Blasius wieder einmal einen wertvollen Komponisten aus seiner Heimatstadt ausgegraben, für den ebenso wie für Rufinatscha ansonsten gar nichts geschehen würde. Die Suite aus „The Victorian Kitchen Garden“ von Paul Reade führt den Hörer weiter nordwestlich, nach England. Sie ist eine Umarbeitung von Teilen der Musik zur gleichnamigen Fernsehserie, welche große Popularität genoss und dem Komponisten den Ivor Novello-Preis einbrachte. Die fünf Sätze erweisen sich als ansprechende wie harmlose Stimmungsbilder von verzaubernder Schlichtheit. Zurück nach Innsbruck nimmt Michael F. P. Huber mit seinen titelgebenden „Veitstänzen“ mit. Mittlerweile ist Huber geradezu als „Stammkomponist“ des Orchesters der Akademie St. Blasius zu bezeichnen. Hier kommt man nicht darum herum, das Wort „leider“ anzuhängen; natürlich hat er mit dem Klangkörper großartige Vorkämpfer seiner Werke und die Gewährleistung, dass seine Werke auch gespielt werden, doch ist es bedauernswerterweise zugleich fast das einzige Orchester, welches seine großartige Musik aufführt. (Es sollte nicht vergessen werden, dass das Kammerorchester INNSTRUMENTI wie ebenso das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck auch Weltpremieren von Huber gaben, doch sind auch dies Klangkörper aus seiner Heimatregion.) Dieser Komponist hätte es mehr als verdient, über die Grenzen Innsbrucks und Österreichs hinaus bekannt, von einem großen Verlag unterstützt und auf internationalen Bühnen gespielt zu werden. Für die vorliegende CD steuerte er acht Veitstänze bei, Orchestrierungen für Klarinette, Schlagwerk und Streicher von früheren Kammermusikwerken, die bereits in verschiedenen Besetzungen existieren. Die Musik ist genauso vielschichtig wie ihr Name, der zum einen auf einen mittelalterlichen Tanz, andererseits aber auch auf eine Krankheit mit Symptomen wie unkontrolliertem Zucken der Gliedmaßen zurückgeht. Rhythmische Prägnanz, grenzenlose Inspiration und eine gepfefferte Prise Humor prägen diese Tänze, die so locker aus dem Handgelenk geschüttelt scheinen. Die Titel der Tänze sagen einiges über ihren Inhalt aus: Frisch und munter, Etwas störrisch, Nervös, Launisch, Flüchtige Vision, Nonchalant, Frech und Fröhlich, Flüchtiges Finale. Bestechend ist nicht zuletzt die große Gabe der Orchestration, die Huber beherrscht wie wenige andere Komponisten unserer Zeit. Die Besetzung wirkt, als wäre sie niemals anders als genau so geplant gewesen, wobei gleiches auch über die früheren Fassungen gesagt werden kann, die mir vorliegen. Zwei kurze Werke folgen auf Hubers Tänze: Heinrich Joseph Baermanns Adagio für Klarinette und Streicher, ein stimmungsvoll-lyrisches romantisches Gemälde, welches nach Hubers mitreißenden Veitstänzen simpler scheint, als es eigentlich ist, und Eduard Demetz‘ UE1 für Klarinette, Bassklarinette und Elektronik. Fast wirkt letzteres, das modernste Stück der CD wie fehl am Platz nach solch romantisch durchwehter und eingängiger Musik, doch weist es auch einige witzige und kecke Passagen auf, und es ist trotz der (übrigens recht interessant eingesetzten) Elektronik in der Dynamik der Form primär auf Töne und Melodien (nicht auf Geräusche) bezogen und bietet dem Hörer somit noch eine Art Struktur, an die er sich festhalten kann.

Peter Golser wird den Hörern von MusikMuseum sicherlich bekannt sein, wenngleich nicht als Musiker, ist er doch bei dieser Reihe schließlich Tontechniker, und auch hier ist er für Technik, Schnitt und Mastering zuständig. Auf dieser Einspielung ist er jedoch auch einmal vor dem Mikrofon, es ist sein CD-Debüt als Klarinettist. Seine langjährige Arbeit hinter der Bühne mit dem Orchester und seinem Dirigenten zahlt sich nun auch in dieser Einspielung aus. Seine Solostimme ist mit dem Orchester stets in exakt Übereinstimmung und verschmilzt mit ihm zu einer Einheit. Er tritt in ständigen Dialog mit seinen Mitstreitern, kann teils sogar mit sich selbst dialogisieren. Sein Spiel ist ausgesprochen klar und wendig, verliert dabei nie an Lockerheit und Gelassenheit. Wie ein Chamäleon passt sich Golser den Anforderungen der Werke an, kann sowohl die klassisch-romantischen Töne als auch die Stimmungsbilder und die vielseitig-epochenübergreifenden Veitstänze gut erfassen und dem Hörer glaubhaft vermitteln. Alles ist bei ihm im Fluss auf einer ständigen Reise durch unzählige Tongebungs-Schattierungen vom klaren quasi-Flötenton über tiefe celloartige Klänge bis hin zu hexenhaftem Aufbäumen. Katja Lechner steht ihm in Raedes Suite als Harfenistin zur Seite mit voll klingendem, leicht hallig aufgenommenem Spiel von perlender Schönheit und Zartheit. In UE1 von Eduard Demetz ist es Jürgen Federer an der Bassklarinette, der einen exzellenten Duettpartner abgibt, sie stimmen ihr Spiel äußerst fein aufeinander ab und klingen förmlich wie aus einem Mund. Das Orchester der Akademie St. Blasius, hier nicht bloßer Hintergrund, sondern bedeutungsvoller Widerpart zu Peter Golser, musiziert wie immer äußerst reflektiert und mit fesselnder Plastizität. Das Zusammenspiel dieses Orchesters ist stets außergewöhnlich präzise und auch tatsächlich „gehört“, Karlheinz Siessl achtet minutiös auch auf das Vortreten der wichtigen Nebenstimmen und lässt weit mehr als farbenprächtige Vielfalt entstehen. Auch der diffizil zu erarbeitende Humor in Hubers Veitstänzen kommt tadellos über die Rampe.

Hier prallen verschiedenste Welten aufeinander, in der Mitte entsteht dabei etwas Tänzerisches und Munteres. Alles ist dargeboten in höchster technischer und musikalischer Qualität voll Witz, Keckheit und unverkennbarer Freude an der Musik.

[Oliver Fraenzke, Mai 2016]

Die Tradition auf neue Wege weiterführen

Die Uraufführung des bereits fünften Solokonzerts (ein Concertino mit einberechnet) von Michael F. P. Huber spielt das Orchester der Akademie St. Blasius Tirol unter Karlheinz Siessl im VIER und EINZIG in der Haller Str. 41 in Innsbruck. In der Matinée am 17. April 2016 wird außerdem das Concertino für Klavier und Orchester von Jean Françaix dargeboten sowie die Symphonie Nr. 38 KV 504, die „Prager“, von Wolfgang Amadeus Mozart.

Ein Klavierkonzert zu schreiben ist eine der schwierigsten Aufgabe für einen Komponisten. Nicht nur, dass neben dem eigentlichen Orchester auch das Klavier eine Art zweites Orchester mit umfangreichen Möglichkeiten darstellt, auch lasten unzählige große Meisterwerke auf den Schultern des Komponisten, mit denen viele Hörer das neue Werk unweigerlich mehr oder weniger unterschwellig vergleichen. Eine aufsehenerregend neue und kreative Art, mit diesen bestehenden Werken umzugehen, gelingt dem Innsbrucker Michael F. P. Huber. Der erst im vergangenen November mit dem Landespreis für zeitgenössische Musik Tirol ausgezeichnete Komponist beginnt sein Konzert mit vier Tönen, die einem überraschend bekannt vorkommen und einen geradezu verdutzen dreinschauen lassen: Doch, tatsächlich, direkt zu Beginn erklingt das eröffnende Viertonmotiv aus Tschaikowskys b-Moll-Konzert. Damit nicht genug der Anspielungen – Beethovens c-Moll-Konzert wird wie auch das zweite von Rachmaninoff in derselben Tonart zitiert, und ein Hornmotiv aus Schumanns a-Moll-Konzert. Und dies sind alleine die Werke, die ich beim ersten Hören ausmachen konnte, wie viele weitere für mich noch im Verborgenen geblieben sind, darf sich bei weiterem Hören offenbaren. „Hommage“ nennt Huber treffend diesen ersten Satz und zeigt damit, dass er einer Tradition entspringt, derer er sich gerne bewusst ist und die er eben fortführt anstatt mit ihr brechen zu wollen.

Das Klavierkonzert von Michael F. P. Huber (Autor von derzeit drei Symphonien, nunmehr fünf Solokonzerten, Vokal- und Kammermusik) bleibt seinem bisherigen Stil treu und ist trotzdem eine Weiterentwicklung dessen. Die Musik ist zweifelsohne modern, jedoch fern aller Beliebigkeiten und avantgardistischen Moden, stets erfrischt sie mit einem ansprechenden Ton ohne maßlos aufgehäuft schmerzende Dissonanzen. Formale Struktur und Entwicklung sind zentral für Hubers Werkschaffen – und so wird auch besagtes Viertonmotiv wiederkehrendes Kernelement des Kopfsatzes. Die Musik changiert zwischen polyphonem Beinahe-Chaos und klar gegliederter Ordnung, in beiden Extremata ist die bei Huber ohnehin faszinierend beherrschte Instrumentation spürbar weiter ausgereift. Das Klavier, bisher noch wenig bedacht von Michael F. P. Huber, ist virtuos und vielseitig eingesetzt mit vollgriffigen Akkorden, rasenden Läufen, Glissandi und komplexer Polyphonie. Im Mittelsatz, einem „Nocturne“, ist ihm ein selten zu hörender Partner, das Lupophon, beigeordnet – eine Bassoboe, eine Neuerfindung, welche 2011 erstmals öffentlich präsentiert wurde, und es ist eine sehr gelungene Ergänzung der Oboenfamilie, die nun mit Oboe, Englischhorn, Heckelphon und besagtem Lupophon zum vierstimmigen Satz ergänzt ist wie ein gemischter Chor. Nach dem zweiten Satz folgt ein „Capriccio“ als Finale mit schwunghaften Rhythmen, in eine sonderbare „quasi Cadenza“ einmündend, von wo aus der Satz ein offenes Ende findet.

Mit klarem und durchsichtigem Ton glänzt der Pianist und Organist Michael Schöch am Soloinstrument. In flexibler Wendigkeit stellt er sich schlagartig auf neue Situationen ein, wobei sein Spiel stets locker bleibt. Auffallend ist sein orchestrales Denken: Übernimmt er thematisches Material aus dem Orchester, so bietet er es auch mit den klanglichen Charakteristika des jeweiligen Instruments an. Fein ist entsprechend auch sein Gespür für Phrasierung und dynamische Schattierungen.

Dem Concertino von Jean Françaix belässt er einen frischen und knackig-markanten Ton, der einen Hauch von ins Chansonmilieu abgedrifteter Wiener Klassik mitschwingen lässt: Eine klangliche Wohltat für das meist viel zu romantisch und pedallastig gespielte Werk des Franzosen. Im Übrigen ist das Concertino ein hinreißend charmantes Stück, aus vier miniaturhaften Sätzen mit ansprechend-lockerer Muse zusammengefügt, wie flüchtig hingeworfen und doch merklich ausgearbeitet und fein ziseliert. Als Zugabe gibt es Ligeti, und der Hörer staunt über die rasche linke Hand, über der sich eine sangliche Oberstimme erhebt.

Eine beeindruckende Leistung ist auch wieder einmal vom Orchester der Akademie St. Blasius unter Karlheinz Siessl zu würdigen, das sich mit keinem der Stücke leichtes Repertoire ausgesucht hat. Bis hin in die undurchdringlichste Polyphonie bei Hubers Konzert bewahrt man kultivierten Klang und technische Reinheit, bleibt bei Jean Françaix klar und strukturiert und brilliert bei Mozart vor allem im gefürchteten Bläsersatz. Siessl gelingt es gar, beide Wiederholungen des Finales von Mozarts Prager Symphonie derart entstehen zu lassen, dass sie als Potenzierung der jeweils ersten Wiedergabe zu funktionieren scheinen. Insbesondere in Hubers Konzert blühen die Musiker voll auf und stellen ihr hohes Können und ihre musikalische Gestaltungskraft als Resultat ihrer langjährigen gemeinsamen Schaffenszeit mit Karlheinz Siessl eindrücklich unter Beweis.

Michael F. P. Huber wird noch eine blühende Zukunft vor sich haben. Schon bei meiner Besprechung über die Dritte Symphonie und zwei seiner bisherigen Konzerte nannte ich ihn einen der größten Symphoniker des beginnenden Jahrtausends, und auch nun in diesem Konzert bestätigt sich diese vielleicht gewagt erscheinende Aussage. An alle Orchester lässt sich nur appellieren: Spielt Huber und verbreitet seine Musik auch jenseits der Landesgrenzen Österreichs, denn sie hat es verdient, ihr habt es verdient, und wir haben es verdient!

[Oliver Fraenzke, April 2016]

Die Tiroler Moderne

musikmuseum 20; CD13019; ISBN: 9 079700 700061

3

Die Opera 50 bis 52 des Tiroler Komponisten Michael F. P. Huber erschienen erstmals auf CD mit dem Orchester der Akademie St. Blasius unter Karlheinz Siessl. Dabei handelt es sich um die dritte Symphonie des Innsbruckers sowie sein Konzert für Harfe und das für Viola d’amore, Solisten hierbei sind Martina Rifesser und Andreas Ticozzi.

Das Orchester der Akademie St. Blasius erwirbt sich schon lange Zeit große Verdienste durch ihr beachtliches Engagement für unbekannte und zeitgenössische Künstler, vor allem die aus Tirol stammenden sowie auch einige aus den nordeuropäischen Ländern. Die mittlerweile 20. CD der Tiroler Reihe musikmuseum ist vollständig Michael F. P. Huber aus der Heimatstadt des Orchesters gewidmet, der bereits auf der siebten Veröffentlichung mit seiner zweiten Symphonie und Streichorchesterwerken vertreten ist. Mit Huber hat das Orchester einen wahrlich interessanten Komponisten entdeckt, der sich wenig aus den aktuellen Vorstellungen von „zeitgenössischer Musik“ macht – sprich, er gehört nicht zu der dominierenden Masse an Tonsetzern, die sich ausschließlich für noch ausgefallenere Klangspiele und strukturlose, für den Hörer unverständliche Musik ohne jeglichen Zusammenhang aufopfern. Viel eher konzentriert er sich auf prägnante Rhythmik und die logische Verarbeitung seiner Themen, die einen erkennbaren Kontext schaffen und eine klar ersichtliche Struktur bilden – oft in vertrauten Großformen wie hier in Konzert und Symphonie. Dennoch lässt sich keinesfalls behaupten, seine Musik sei in irgendeiner Weise regressiv, auch wenn ihr das vermutlich die meisten fest etablierten Anhänger der avantgardistischen Musiklobby vorwerfen würden.

Der erste Teil der CD besteht aus zwei grundverschiedenen Solokonzerten mit jeweils einer kleinen Orchesterbesetzung. Das dreisätzige Harfenkonzert Op. 50 verzichtet vollkommen auf Bläser, benötigt dafür neben den Streichern ein sehr solistisch gesetztes Klavier, das immer wieder in ein Wechselspiel mit der Harfe tritt (wobei der so prominent mitwirkende Pianist bedauerlicherweise namentlich selbst im Booklet nur in allerletzter Reihe der Mitwirkenden aufscheint: Mathias Schinagl), sowie zwei Schlagwerkspieler. Von Anfang an zeigt sich, dass Michael F. P. Hubert trotz unkonventionellem Umgang mit dem Material tief in der Tradition verankert ist: Tonleitern und Terzintervalle dominieren das Bild. Das Konzert besticht durch seine rhythmische Präsenz und sein komplexes Zusammenspiel. Der Dirigent Karlheinz Siessl schafft es, den Klang klar und durchsichtig zu halten, so dass auch in den verzwicktesten Passagen keine Stimme zu sehr untergeht, und vermag es, insgesamt eine helle und strahlende Wirkung zu erzielen. Der höchst anspruchsvolle Solopart wird dabei mühelos von der ebenfalls aus Tirol stammenden Martina Rifesser gemeistert, die ihrem Instrument alle nur vorstellbaren Klangfarben entlocken kann, vom tiefem Scheppern und hohem Knallen bis hin zu einem äußerst sanglichen Ton, was bei der gezupften Harfe vielen nicht gelingen mag. Durch seine gute Anpassungsfähigkeit imponiert auch der Pianist Mathias Schinagl, dessen Stimme untrennbar mit dem Soloinstrument verbunden erscheint. Das gesamte Zusammenspiel aller oft in extremen Konfliktrhythmen stehenden Partien ist durchgehend höchst beziehungsreich und so verzeiht man gerne gelegentliche Asynchronitäten zwischen Schlagwerk und Harfe.

Das einsätzige Konzert für Viola d’amore und Kammerorchester Op. 51 kann nicht ganz an das so präsente und einheitlich wirkende Harfenkonzert heranreichen. Zwar hat auch dieses einen ganz eigenen Reiz durch den Verzicht auf sämtliche hohen Streicher und die stattdessen zusammen oft vierstimmig gesetzten Celli und Kontrabässe und durch wirkungsstarke Konstellationen wie beispielsweise den einleitenden Kanon, der sich nie komplett in die Höhe zu schrauben vermag, doch fehlt hier ein wenig der große Zusammenhang, der die drei Abschnitte als ein bezwingendes Gemeinsames erfahren ließe. Auch ist die Musik nicht mehr ganz so unmittelbar verständlich wie im Opus 50, einige Passagen wirken eher konstruiert. Die Umstellung von seiner normalen Violine und Viola zu der siebensaitigen und mit Resonanzsaiten vollkommen von heute gebräuchlichen Instrumenten abweichenden Viola d’amore gelingt Andreas Ticozzi ohne Probleme. Er entlockt dem historischen Instrument einen recht rauhen – statt, vielleicht erwartet, lieblichen – Ton, wodurch die Saiten ein leicht kratziges, zum Gesamtklang allerdings stimmiges Timbre erhalten. Der Solist nimmt den meist mehrstimmigen und herausfordernden Violasatz allgemein recht herb und mit einem gewissen Trotz, mit dem die Stimme auch oft genug gegen das Kammerorchester aufbegehrt, wodurch sich die Kompositionsweise auch im Spiel sehr deutlich abzeichnet.

Das letzte Werk der CD ist die 2013 komponierte Symphonie Nr. 3 Op. 52, die dem hier am Pult antretenden Karlheinz Siessl gewidmet ist. In den beiden Sätzen des knapp 30-minütigen Werkes kann nun auch einmal das voll besetzte Orchester der Akademie St. Blasius in Erscheinung treten. Auf den pompös schmetternden ersten Satz folgen zurückgenommenere Metamorphosen, die auch zu größeren Ausbrüchen im Stand sind und am Ende den Zuhörer vollkommen erschüttert zurücklassen. Das zweifelsohne einen Höhepunkt im bisherigen Symphonieschaffen des frühen 21. Jahrhunderts darstellende Orchesterwerk verfolgt einen klaren Aufbau aus einem einzigen Grundmaterial, das immer weiter und freier fortgesponnen wird, dabei teils humorvoll und losgelöst, teils aber auch äußerst dunkel und tiefgründig sein kann und sich in größter Obsessivität ins Unermessliche steigert, womit es sich in der Doppelbödigkeit ein wenig an russisches Symphonieschaffen des mittleren 20. Jahrhunderts anzuschließen scheint. Hier kann sich das Orchester der Akademie St. Blasius unter Karlheinz Siessl voll ausleben, die Musiker haben genauestes Verständnis für diese Musik, quasi ein Heimspiel. Der Dirigent ist in der Lage, den großen Orchesterapparat vollständig durchsichtig zu halten, sogar bei den akzentuiert gewaltigen Höhepunkten gleitet er niemals in blindlings lärmende Banalitäten oder mechanische Manieren ab. Immer hat er den musikalischen Bogen im Kopf und entsprechend den derzeitigen „Standpunkt“, an welcher Stelle im Stück man sich gerade befindet. Nicht zuletzt zentral ist für Karlheinz Siessl auch jede einzelne Stimme, die er ausgestalten lässt und dann in ein einheitliches Ganzes einfügt, wodurch gerade die polyphonen Passagen eine überragende Wirkung erhalten.

Zu allen Beteiligten gibt das Booklet genauere Auskünfte, außerdem stehen dort wissenswerte Details über die drei Werke – wenngleich ohne Nennung der ehrenvollen Widmung der dritten Symphonie. Aufgenommen wurde die Musik jeweils im Rahmen von Konzertprojekten an verschiedenen Orten, wobei die Klangqualität durchgehend auf ausgezeichnetem Niveau ist, alles ist sehr zufriedenstellend abgemischt und ausgewogen.

Zusammenfassend liegen auf dieser CD drei wahrlich technisch ausgereifte, einfallsreiche, prägnante sowie auch ins Ohr gehende und bei aller Mannigfaltigkeit der Textur verständliche Orchesterwerke von Michael F. P. Huber vor, die von dem glänzenden Orchester der Akademie St. Blasius und dem auf diesem Gebiet der Musik sichtlich erfahrenen Dirigenten Karlheinz Siessl in exemplarischer Qualität dargeboten werden. Es ist ein sehr wertvoller Beitrag für die leider bisher sehr unbekannte Musikkultur Tirols, die dringend auch von anderen Seiten der Aufmerksamkeit bedarf, um sie auch hier in Deutschland endlich auf die Konzertbühnen zu bringen.

[Oliver Fraenzke, September 2015]