Alle Beiträge von Grete Catus

Hello Again!

László Lajtha
Orchestral Works 1
(Suite pour orchestre, Op. 19; In memoriam, Op. 35; Symphonie Nr. 1, Op. 24)
Pécs Symphony Orchestra
Nicolás Pasquet
Naxos 8.573643; EAN: 747313364374

This is a free design for Deviantart Photoshop Files. Created with a Creative Commons Licence (http://creativecommons.org/licenses/by-nd/3.0/) Rules for use: 1. When using this template, post copyright post in your project. Always link to this deviant page for copyright. Include author name and link. 2. Do not sell, redistribute or copy this file. 3. Downloads are only from this URL. 4. When using in your project, leave a comment with link to project please...

Bei Naxos erscheinen gerade Aufnahmen der Orchestermusik des Ungarn László Lajtha in Wiederveröffentlichungen einer Edition, die Mitte der 1990er-Jahre bei Marco Polo erst-erschienen war. Klangqualität und Interpretation sind auch für heutige Begriffe noch exzellent. Die Musik Lajthas stellt einen interessanten Sonderfall der osteuropäischen Musik des 20. Jahrhunderts dar.

Wie schon in früheren Jahren zu beobachten, kommen auch 2016 wieder einige Aufnahmen via Naxos auf den Markt, die in früheren Jahren beim Label Marco Polo erst-erschienen waren. Dazu zählen u.a. einige Spohr-Sinfonien, aber (interessanter vielleicht, weil viele Jahre vergriffen und noch immer außerhalb von Naxos/Marco Polo weitgehend unbeackertes Terrain) Orchesterwerke des Ungarn László Lajtha.

Da kann man mal wieder sehen, wie die Zeiten sich ändern: Als diese Aufnahmen 1996 zum ersten Mal beim Marco Polo-Label erschienen, kannten nur wenige Eingeweihte den Namen des Dirigenten Nicolás Pasquet. Heute hingegen – nach verschiedenen erfolgreich verbrachten und viel beachteten Chefdirigenten-Posten sowie einer Professorenstelle in Weimar – ist Pasquet zumindest im Ostteil Deutschlands eine durchaus prominente Figur. Heute ist allerdings kaum noch bekannt, dass er einst auch das Sinfonieorchester der südungarischen Stadt Pécs leitete (heute als Pannon Philharmonic Orchestra firmierend). Und was dieses Orchester damals für ein verblüffend exzellenter Klangkörper war, das zeigen diese spannenden Aufnahmen der Musik László Lajthas.

Lajtha ist ein Komponist gewesen, dessen Stil man unkonventionell nennen kann. Seine Lebensgeschichte verrät viel über die Musik, die wir hier hören können. Einerseits gehörte Lajtha zur Gruppe der Volksliedsammler um Kodály und Bartók, die die ungarische Folklore als Inspirationsquelle für ihre Kompositionen nutzten, andererseits kam Lajtha schon früh in Kontakt mit dem französischen Impressionismus und dem Expressionismus ebenso.

Zu Lebzeiten war er (wohl auch wegen politischer Belange) kaum als Komponist geläufig, sondern eher als Gelehrter, Professor, zeitweise auch als Rundfunkredakteur. Lajthas neun Symphonien sind aber ein bis zum heutigen Tage seltenes Beispiel für einen produktiven ungarischen Sinfoniker. Ungarn ist ja ein Land, das spätestens seit Liszts Proklamierung des Konzepts der Symphonischen Dichtung (vielleicht verständlicherweise) nur sehr wenige Symphonien im eigentlichen Sinne des Wortes und der Form hervorgebracht hat.

Lajtha ist, das zeigte die damalige Marco Polo-Reihe ganz deutlich, ein spannender, ein hörenswerter Komponist. Man kann ihn sicher nicht als einen der großen Meister einstufen, aber als einen wirklich hörenswerten, guten Komponisten. Und gerade seine Symphonien verraten neben einer unverkennbaren eigenen Tonsprache auch den einen oder anderen Blick in andere Länder des damaligen „Ostblocks“, denn es gibt zumindest vom Höreindruck her manche Parallelen zum sinfonischen Werk von z.B. Prokofjew, Martinů oder Myaskovsky. Erinnerungen kommen zudem an andere ungarische Musik auf: So blitzt in dem auf diesem Album eingespielten Opus 19 der Stil Kodálys auf oder auch der Weiners.

Im Opus 35 und in der ersten Sinfonie Op. 24 ist der Zugriff moderner, kantiger, mit einem spürbaren Willen zur Expression. Die Symphonie Nr. 1 erscheint dann auch in mancher Hinsicht „gewollt“ (aber auch gekonnt, wie ich hinzufügen möchte), wie überhaupt Lajthas Musik nicht den Eindruck eines gelassen, entspannt Komponierenden vermittelt, sondern stets (auch in ruhigeren, lyrischeren am französischen Impressionismus orientierten) Stücken oder Werkteilen eine gewisse Unruhe und innere Zerrissenheit in sich trägt.

Ist dies vielleicht auch mit ein Grund dafür, warum Lajthas Orchestermusik in der gesamten Tonträgergeschichte bislang nur durch das einstige ungarische Staatslabel Hungaroton und durch die Marco Polo-Edition, die hier bei Naxos nach Jahren wiedererscheint, dokumentiert ist? Man kann nur vermuten. Das Hören dieser Musik lohnt sich jedenfalls, und in der auch für heutige Maßstäbe noch exzellenten Klangqualität und Darbietung dieser Aufnahmen Nicolás Pasquets aus Pécs erst Recht! Schön, dass diese Raritäten nach Jahren endlich wieder erhältlich sind.

[Grete Catus, August 2016]

Wunderbare Stücke in wunderbarer Vielfalt

Polish Violin Concertos
Piotr Plawner (Violine)
Kammersymphonie Berlin – Jürgen Bruns
Label: NAXOS
EAN: 747313349678

Wie definiert man polnische Musik? Das ist eine Frage, die sich bei der Beschäftigung mit diesem neuen Album des NAXOS-Labels unvermittelt stellt.

Ein Komponist wie Alexandre Tansman, geboren 1897 in Łódź, 1920 die französische Staatsbürgerschaft angenommen, vor den Nazis nach Lissabon geflohen und von dort dann in die USA ausgereist, 1946 nach Paris zurückgekehrt und bis zu seinem Tod dort geblieben. Hat er „polnische“ Musik komponiert?

Oder Michał Spisak: 1914 geboren in Südpolen, ab 1935 wohnhaft in Paris, wo er 1965 auch gestorben ist. Auch Andrzej Panufnik, der einen Großteil seines Lebens in Großbritannien verbrachte und aus Enttäuschung in den 1950er-Jahren seinem Heimatland Polen den Rücken kehrte oder Grażyna Bacewicz, die Anfang der 1930er-Jahre nach Paris ging, um (wie auch Spisak) bei Nadia Boulanger zu studieren, kann man schwerlich einen hörbar „polnischen Stil“ attestieren, auch wenn diese beiden immerhin viel Zeit ihres Lebens in ihrem Heimatland verlebt haben.

Es ist daher durchaus fraglich, ob es gerade bei polnischen Komponisten Sinn macht, ein Album mit vermeintlich „polnischer Musik“ zu konzipieren. Gerade in Polen kann man keine „Schule“ ausmachen, keinen spezifischen „Sound“ wie man ihn etwa sofort im Ohr hat, wenn von tschechischer, ungarischer oder russischer Musik die Rede ist.

Ein Manko ist das aber nicht. Ganz im Gegenteil, wie dieses hoch interessante Album beweist. Es enthält vier ganz hervorragende Kompositionen von überwiegend ausgezeichneter Qualität, und es ist zudem von der Kammersymphonie Berlin unter Jürgen Bruns und vom überraschend großartigen Solisten Piotr Plawner (der zumindest mir vor dieser Aufnahme überhaupt kein Begriff war) in sehr, sehr guter Qualität eingespielt worden, dank einer Koproduktion mit dem Deutschlandradio zudem in brillantem Aufnahmeklang.

Das erste Konzert des Albums ist auch das Interessanteste. Es stammt von Grażyna Bacewicz. Naxos hatte bereits im letzten Jahr mit einer Gesamteinspielung der Bacewicz-Streichquartette einen echten Coup gelandet. Bacewiczs Musik, die manchmal sehr an Weinberg und Schostakowitsch erinnert, müsste ein großes Publikum begeistern können. Und kaum ein Werk wäre besser geeignet, um besagtes Publikum für sich zu gewinnen, als dieses tolle Violinkonzert.

Es ist nicht einfach vordergründig virtuos, sondern es wimmelt vor allem von schönen Melodien und einem von lyrischer Heiterkeit durchwehten Geist. Erstaunlich ist dies schon allein deshalb, weil das Stück im Jahr 1937 entstand, als die bevorstehende politische Krise nicht wenige (darunter auch Bacewicz selbst) zu düster-vorahnungsvollen Kompositionen inspirierte. Hört man etwa Bacewiczs düster bis teils sogar depressiv gefärbte Streichquartette, kann man kaum glauben, dass dieses heitere, ganz unproblematisch zugängliche Stück von derselben Komponistin stammen soll.

Alexandre Tansmans „Cinq Pièces pour violon et petit orchestre“ atmen (wie so vieles von diesem schwierig zu interpretierenden Komponisten) den Neoklassizismus der Art Strawinsky, freilich durchwebt mit dem Hauch zurückhaltender Noblesse und Eleganz, die man bei Tansman häufig findet. Auch diese Stücke sind einfach nur hinreißende Musik, ja, mit das Schönste für diese Besetzung, was ich aus den späten 20er-/frühen 30er-Jahren bislang gehört habe.
„Andante und Allegro für Violine und Streichorchester“ sind die beiden folgenden Stücke aus dem Jahr 1954 betitelt. Sie stammen von Michał Spisak, und stünde dieser Name nicht darüber, ich hätte das Andante glatt für eine verschollene Schostakowitsch-Komposition gehalten, und ich meinte damit jenen sinistren, der Last des Lebens müden Schostakowitsch, der sich etwa im ersten Satz der sechsten Sinfonie oder in der Viola-Sonate findet. Das Allegro hingegen könnte man fast für ein Werk Brittens halten, wobei auch Strawinskys „Orpheus“ hier hätte Pate stehen können.

Ich muss gestehen, dass Spisaks Stücke mich zwar mit ihrer Zugänglichkeit begeistern – man muss sie ja einfach gern haben, weil sie so schön klingen – aber unter kompositorischen Aspekten sind sie die womöglich am wenigsten „gehaltvollen“ Werke dieser CD.

Das Violinkonzert Andrzej Panufniks aus dem Jahr 1971 beschließt das Album mit dem typischen, ganz unverkennbaren Panufnik-Sound, den man entweder liebt oder hasst. Panufnik war ein Individualist vor dem Herrn, einer, der seinen eigenen Kopf durchsetzen musste. Sein Violinkonzert überrascht mit zurückgenommenen kammermusikalischen Passagen und mit einer für Panufniks Verhältnisse vergleichsweise stark ausgeprägten Expressivität. Es ist eine im Prinzip ganz untypische Musikmoderne für einen mitteleuropäischen Komponisten. Es ist Musik, die man auch von einem US-Amerikaner wie William Schuman oder Roy Harris akzeptiert hätte.

Panufniks Konzert gleicht einem Spiel der Violine mit dem Orchester oder besser gesagt, einer Art Wettkampf oder einem Katz-und-Maus-Spiel. Nur wenige Passagen lassen beide „Parteien“ zusammen erklingen, die Violine steht oft allein oder tritt in teils aufgeregte Dialogpassagen mit dem klein besetzten Orchester ein. Ein enorm interessant gemachtes Werk, in dem man immer wieder Neues entdeckt, je öfter man es hört.

Fazit: Der Titel des Albums mag verfehlt sein (wie wir gezeigt haben, gibt es weder ausschließlich Violinkonzerte auf dieser CD noch könnte man hier irgendwo eine dezidiert „polnische“ Musik ausmachen), doch die enthaltenen Kompositionen und ihre Interpreten begeistern!

[Grete Catus, Juli 2016]

Leipziger Streichquartett: Erstes Album in neuer Besetzung

Jean Sibelius: Streichquartette Op. 56 „Voces Intimae“ und JS 183 (1889)
Leipziger Streichquartett
CD 63’13 min., 1/2016
MDG, 2016
MDG3071957-2
EAN: 7 60623 19572 8

This is a free design for Deviantart Photoshop Files. Created with a Creative Commons Licence (http://creativecommons.org/licenses/by-nd/3.0/) Rules for use: 1. When using this template, post copyright post in your project. Always link to this deviant page for copyright. Include author name and link. 2. Do not sell, redistribute or copy this file. 3. Downloads are only from this URL. 4. When using in your project, leave a comment with link to project please...

Das erste Album des Leipziger Streichquartetts ohne ihren bisherigen ersten Geiger Stefan Arzberger (der wegen einer ziemlich undurchsichtigen Kriminalgeschichte seit über einem Jahr in den USA in Untersuchungshaft festsitzt) ist in mancher Hinsicht eine Überraschung.
Erste Reaktion: Ausgerechnet Sibelius! Das ist ein Terrain, für das die Leipziger bislang nun nicht gerade bekannt waren. Zudem erscheint das Album zielsicher ein Jahr nach dem groß gefeierten Jubiläum des finnischen Komponisten, also in einer Zeit, in der anderenorts nach der großen Flut vorerst bei den meisten CD-Labels die „sibelianische Ebbe“ ausgebrochen ist.

Der neue Violin-Primus des Quartetts Conrad Mück ist wohlbekannt vom Berliner Petersen Quartett, das ebenso wie die Leipziger zu den bekanntesten Streichquartetten des Landes zählt. Ob diese Lösung allerdings dauerhaft bleiben wird, auch wenn Arzberger aus den USA wieder zurückkehrt, darüber lässt uns das Quartett vorerst im Unklaren, zumindest im Booklettext, wo lediglich davon gesprochen wird, Mück sei „seit 2016 Erster Violinist“.

Wie klingt nun das Leipziger Streichquartett in der neuen Besetzung? Er hat sich auf jeden Fall gewandelt, ist weicher geworden. Arzbergers Ton, der stets eine (nicht unangenehme) Schärfe aufwies, wird abgelöst vom eher lyrischen Tonfall Conrad Mücks. Insgesamt pflegt man weiter das Diktum einer vorbildlichen Durchhörbarkeit und Präzision. Allerdings gerät dabei nach wie vor (wie bei diesem Quartettensemble leider öfters beobachtet) die Phrasierung manchmal in den Hintergrund. Und wenn eines bei Sibelius wichtig ist, dann ist es Phrasierung. Offen gesagt: Das berühmte Streichquartett Op. 56 „Voces Intimae“ gerät auf diesem Album zur Enttäuschung. Manches klingt gar, als wäre es sauber aber seelenlos vom Blatt gespielt. Die innere Architektur des Werks erschließt sich in dieser technisch so blitzsauberen Aufnahme leider gar nicht. Manchmal hat man das Gefühl, das Quartett musiziere nachgerade am Werkkern vorbei. Die Linienführung wirkt oft seltsam unzusammenhängend, ein „großes Ganzes“ will sich selten einstellen. Kurz gesagt: Es gibt da viel bessere Aufnahmen am Markt.

Das seltener zu hörende Streichquartett von 1889 kommt den Leipzigern mit seiner „Jugendstiligkeit“ erkennbar viel besser entgegen. Hier ist vom Komponisten weniger in die Musik „hineingeheimnist“ worden, und man erkennt an dieser Musik vielleicht, dass Sibelius einmal bei Carl Goldmark in die Kompositionslehre gegangen ist. Hier finden die Leipziger alles was sie brauchen, um sich zurechtzufinden: Rhythmus, Leidenschaft, Romantik. Im Vergleich zu der „flächiger“ erscheinenden Anlage des „Voces Intimae“-Quartetts finden sich in dieser Musik viel mehr Ansatzpunkte, um ein Quartettensemble dankbar zu bedienen. Und die Leipziger greifen das auch dankbar auf. Man spielt hier auf wie befreit, findet endlich zu einem Ensembleklang.

Diese CD ist also eine janusköpfige Angelegenheit, und es wird sich zeigen in welche der beiden Richtungen das Leipziger Streichquartett fortan gehen wird. Der Abgang von Stefan Arzberger scheint jedenfalls trotz hochkarätiger Neubesetzung noch nicht verkraftet zu sein.

[Grete Catus, Mai 2016]

Gewohnte Qualität in verbesserungswürdiger Optik und Akustik

Kurt Atterberg: Symphonie Nr. 3, Op. 10 „Västkustbilder“; Drei Nocturnes, Op. 35bis; Vittorioso, Op. 58
Göteborger Symphoniker
Neeme Järvi
CD 66’21 min., 1/2015
Chandos 2016
CHAN10894
EAN 0 95115 18942 9

This is a free design for Deviantart Photoshop Files. Created with a Creative Commons Licence (http://creativecommons.org/licenses/by-nd/3.0/) Rules for use: 1. When using this template, post copyright post in your project. Always link to this deviant page for copyright. Include author name and link. 2. Do not sell, redistribute or copy this file. 3. Downloads are only from this URL. 4. When using in your project, leave a comment with link to project please...

Neeme Järvis Atterberg-Zyklus ist erst der zweite am Markt, neben demjenigen von cpo mit Ari Rasileinen. Bislang hinterließ die Reihe ein insgesamt gelungenes Bild. Nun erscheint der vierte und mutmaßlich vorletzte Teil.

Um es gleich vorweg zu sagen: Musikalische ist hier bis auf marginale Abstriche vieles im tief grünen Bereich: Die Symphonie Nr. 3 mit dem Beinamen „Västkustbilder“ zählt zu Kurt Atterbergs schönsten Orchesterwerken überhaupt. Und Neeme Järvi macht mit den Göteborger Symphonikern daraus ein Fest der Klangfarben und Stimmungen. Warum ist diese CD trotz allem ein großes Ärgernis? Weil sie eine CD ist!

Zugegeben, das klingt kryptisch für denjenigen, der die Atterberg-Reihe bislang nicht regelmäßig mitverfolgt hat. Es lohnt dann zu berichten, dass die ersten drei Teile des Zyklus auf SACD erschienen waren (was u.a. bei Chandos ein anderes Layout der seitlichen Beschriftung der Alben zur Folge hat). Nun hat der Sammler also Teil 1-3 in der braunlila-farbenen Optik der Chandos-SACDs im Regal stehen, und nun erscheint Teil 4 des Zyklus als „gewöhnliche CD“, die ein völlig anderes Layout eröffnet. Sammler hassen es, wenn sich das Layout innerhalb einer laufenden Reihe ändert.

Zudem haben wir ja schon einen Atterberg-Zyklus auf CD von cpo. Ein wichtiges Verkaufskriterium für den Atterberg-Zyklus bei Chandos war das SACD-Format, das aus Göteborg bislang in einem umwerfenden Klangbild geliefert wurde und vor allem auch im Mehrkanalton reichlich Spaß generieren konnte. Nun wird also der treue Käufer dieser Reihe plötzlich auf Standardniveau zurückgesetzt und auch noch mit einer Layout-Änderung bestraft. Was das soll, kann wohl nur das Label verstehen.

Musikalisch hat diese Veröffentlichung nämlich auch wieder das aus Göteborg inzwischen gewohnte Rhythmusproblem. Atterbergs Dritte ist rhythmisch nämlich durchaus vertrackt (vor allem im zweiten Satz, der tonmalerisch einen „Sturm“ in die schwedische Westküstenlandschaft zeichnet). Und wie schon bei den vorangegangenen Teilen versagen die Göteborger Symphoniker leider kläglich in Fragen der rhythmischen Präzision. Rasilainen hatte da mit der NDR Radiophilharmonie und dem Radiosinfonieorchester Frankfurt des hr die besseren Orchester zur Hand. Wie schmerzt das, wenn man im Vergleich dazu etwa die sensationellen Schostakowitsch-, Sibelius- oder Nielen-Aufnahmen aus den 1990er- oder 1980er-Jahren zum Vergleich auflegt, bei denen die Göteborger Symphoniker fraglos zu den besten Orchestern der Welt gezählt werden mussten.

Immerhin, was Neeme Järvis Atterberg-Auslegung deutlich von der Rasilainens bei cpo unterscheidet, ist die „Seele“, die Järvi dieser Musik verleiht. Das ist nach wie vor ganz großes Kino, wie Järvi es versteht, einen Orchesterklang zu diesem samtig-sahnigen Schmelz zu vereinen, wie ihn nur Järvi hinbekommt. Leidenschaft und Feuer lodern hier, gehen vielleicht manchmal sogar mit den schwedischen Musikern durch, was vielleicht zu den genannten rhythmischen Nickeligkeiten beigetragen haben könnte. Aber was für einen Spaß macht das! Und wie viel Spaß würde es erst im SACD-Mehrkanalklang machen ..!

Denn Atterbergs Dritte ist ein geradezu rauschhaft schönes Stück, glänzend orchestriert, mit einem Klangfarbenreichtum, den man selbst bei den gestandenen Sinfonikern des 20. Jahrhunderts nicht häufig findet. Ganz zu Recht wurde diese Sinfonie nach ihrer ersten Berliner Aufführung als eine der schönsten und besten Sinfonien ihrer Zeit gehandelt, wurde (wie uns das gut geschriebene Booklet aufklärt) mit den besten Symphonischen Gemälden eines Richard Strauss verglichen.

Atterbergs fortschrittliche Spätromantik war in den Jahren 1914 bis 1916, als diese Sinfonie entstand, auf einem ersten Höhepunkt. Und es ist ja auch interessant zu sehen, dass hier ein weiterer Komponist eine fast schon naturmystische Sinfonie in den Wirren des Ersten Weltkriegs komponiert hat. Eine spannende Parallele findet sich ja etwa in Ralph Vaughan Williams‘ „Pastoral Symphony“.

Die „Drei Nocturnes“ und vor allem das schwungvolle, mit schwedischer Melodik durchwobene, sehr effektvoll komponierte „Vittorioso“ sind sehr willkommene, ausgesprochen schöne Zugaben zu der mehr als 36-minütigen großen Sinfonie. Beide sind Weltersteinspielungen. Schön, dass man diese hübschen Werke nun in so guter Qualität anhören kann!

Kurz und gut: Neeme Järvis Atterberg-Zyklus bleibt trotz der üblichen kleinen Abstriche auf dem Rhythmussektor auch mit Folge Nr. 4 zurzeit die Erste Wahl. Auch ist trotz einer schlichtweg ärgerlichen Veröffentlichungspolitik des Labels, das mitten in der laufenden Veröffentlichungsreihe von SACD auf CD umgestellt hat, dieser Zyklus bis jetzt einfach der musikalischere und emotionalere im Vergleich zu dem Ari Rasilainens auf cpo, der die besseren Orchester haben mag, dem im Vergleich zu Järvis Einspielungen aber Leidenschaft, Begeisterung, „Feuer“ fehlt.

[Grete Catus, Mai 2016]

A mixed bag: Transkriptionen von Musik John Irelands

Naxos/British Music Society
8.571372
EAN: 747313137275
Orchestra of the Swan
Raphael Wallfisch (Cello)
David Curtis

This is a free design for Deviantart Photoshop Files. Created with a Creative Commons Licence (http://creativecommons.org/licenses/by-nd/3.0/) Rules for use: 1. When using this template, post copyright post in your project. Always link to this deviant page for copyright. Include author name and link. 2. Do not sell, redistribute or copy this file. 3. Downloads are only from this URL. 4. When using in your project, leave a comment with link to project please...

Zugegeben: Qualitativ zählte John Ireland nicht immer zur absoluten Speerspitze der britischen Komponisten im 20. Jahrhundert, aber in seinen stärksten Momenten (z.B. Klavierkonzert oder das schön-schaurige sinfonische Gemälde „Legend“ nach einer schön-schaurigen literarischen Vorlage von Arthur Machen) hat er Musik geschrieben, die für jeden Liebhaber lyrischer Spätromantik mit einem Hang zum französischen Impressionismus unwiderstehlich erscheinen muss. Nun erscheint bei Naxos/British Music Society ein neues Album, das die Ambivalenz von Irelands Musik neu zur Diskussion stellt.

Dazu muss man vielleicht zunächst darauf eingehen, was es mit dem „co-labelling“ dieses Albums auf sich hat. Wie Liebhaber britischer Musik wissen, hatte die British Music Society jahrelang ein eigenes Label mit dem Kürzel BMS, das hierzulande kaum erhältlich war. Die Verkaufszahlen waren zuletzt so gering, das man auf die Methode „press on demand“ ausgewichen war, bei der eine CD erst dann gepresst wird, wenn eine Kundenbestellung vorliegt. Auch das klappte wohl irgendwie nicht so, wie sich das die Society vorgestellt hatte, und so kam Naxos als Partner, bei dem auch Raritäten ein Zuhause finden, wohl gerade zur rechten Zeit.

Aber zurück zur Musik, denn davon gibt es auf diesem Album einen bunten Strauß: Der etwas prosaische Albumtitel „Music for String Orchestra“ täuscht darüber hinweg, dass wir es hier mit nicht weniger als acht Werken zu tun haben, davon nur zwei Werke mit Spiellängen von mehr als 15 Minuten, der Rest sind kleinere Kompositionen. Es handelt sich beim Repertoire auf diesem Album zudem durchweg um Transkriptionen und Arrangements, meistens von Klaviermusik und Kammermusik.

So wurde Irelands Sonate in g-Moll für Cello und Klavier hier für Cello und Streichorchester gesetzt. Mit dem fabelhaften „Orchestra of the Swan“ und dem berühmten Cellisten Raphael Wallfisch sind Top-Kräfte am Start, die interpretatorischen Glanz en masse verströmen müssten. Der Vortrag gelingt jedoch „nur“ gut, vor allem weil Wallfisch und das Orchester nie als Interpretenteam erscheinen. Dies ist vielleicht ein Produkt des etwas „zerstückelt“ anmutenden Dirigats von David Curtis.

Kaum ist der Solist verschwunden, verströmen Gelegenheitswerke wie „Summer Evening“ oder „In a May Morning“ auf deutlich überzeugendere Art und Weise das schwere, patschulihafte Parfum, für das man Irelands Musikimpressionen entweder liebt oder ablehnt.

Vor allem „In a May Morning“ weiß zu gefallen. Ireland, der zugleich ein Naturbewunderer und dem Übersinnlich-Esoterischen zugeneigt war, zeigt hier ein schimmerndes Klangfarbenspiel, das von einem Moment auf den anderen von haarscharf am Kitsch vorbei schlitternden Kantilenen ein mysteriös klingendes Düsterreich tangieren kann, nur um die Komposition in schönstem Lyrismus zu beschließen, als sei nie etwas anderes dagewesen. Das eigentlich für Klavier geschriebene Stück klingt auf diesem Album übrigens, als sei es original für Streichorchester gemacht, was für die Qualität des dargebotenen Arrangements von Graham Parlett spricht.

Ähnliches könnte man über andere „kleine“ Stücke dieses Albums sagen, die wohl den am nächsten liegenden Kaufgrund für dieses Album darstellen. „A Dowland Suite“ (im Streichorchesterarrangement vom Komponisten selbst unter Mithilfe von Geoffrey Bush) ist typologisch artverwandt mit Gustav Holsts „St. Paul’s Suite“. Holsts Suite ist allerdings eleganter, schöner und, tja, auch einfach besser.

Kurz und gut: Dieses Album ist nicht schlecht, könnte aber besser sein. Das liegt einerseits an der dargebotenen Musik, die nicht immer zu Irelands Top-Ware zählt. Andererseits haben auch die Interpretationen noch „Luft nach oben“. Für Ireland-Fans, die alles brauchen, ist diese Platte aber sicherlich unverzichtbar, denn diese Streichorchesterarrangements gibt es nirgends anders, und sie sind auch spannend und interessant zu hören.

[Grete Catus, April 2016]

Erfreulich „unmodischer“ Mahler aus Dallas

Gustav Mahler
Sinfonie Nr. 3
Dallas Symphony Orchestra, Dallas Symphony Chorus, Children’s Chorus of Greater Dallas
Kelley O’Connor (Mezzosopran)
Jaap van Zweden
Label: DSOlive
Art.-Nr.: DSOlive007, LC: fehlt, EAN: 844667036053

This is a free design for Deviantart Photoshop Files. Created with a Creative Commons Licence (http://creativecommons.org/licenses/by-nd/3.0/) Rules for use: 1. When using this template, post copyright post in your project. Always link to this deviant page for copyright. Include author name and link. 2. Do not sell, redistribute or copy this file. 3. Downloads are only from this URL. 4. When using in your project, leave a comment with link to project please...

Zwar spät, dann aber mit umso mehr Trara, ist die deutsche Presse darauf aufmerksam geworden, dass die New Yorker Philharmoniker mit dem Niederländer Jaap van Zweden einen aufsehenerregenden neuen Chefdirigenten bekommen haben. Nun erscheint eine neue Einspielung van Zwedens beim Label des Dallas Symphony Orchestra: ausgerechnet Mahler! Wie spannend!

Etwas merkwürdig war es schon, als nach der Verkündung dieser durchaus ungewöhnlichen Wahl in der gesamten Welt die Schlagzeilen nur so purzelten, während in Deutschland mehrere Wochen lang Totenstille herrschte. Im Zuge der neuesten CD-Veröffentlichung van Zwedens ist aber auch die deutsche Presse endlich aufgewacht. Dass neben den Berliner Philharmonikern, die mit Kyrill Petrenko ebenfalls einen Chefdirigenten gewählt hatten, der zumindest auf globaler Ebene gesehen nicht zur A-Prominenz zählte, nun auch die New Yorker Philharmoniker mit Jaap van Zweden einen Dirigenten in den Chefsessel gesetzt haben, der vorher fast nur durch Positionen in der musikalischen Diaspora, wie Hongkong und Dallas auffiel, sorgte nun endlich für hochgezogene Augenbrauen.

Trefflich ließe sich darüber nachdenken, ob diese beiden Orchester nicht vielleicht viel weiter sind, als das Gros der in ihrer vermeintlichen Komfortzone sanft vor sich hin schnarchenden deutschen Musikpresse. Beiden Orchestern geht es ganz offenbar kompromisslos um die Qualität der musikalischen Darbietung, und um nichts anderes. Währenddessen kleben weite Teile der deutschen Presselandschaft immer noch an den „großen Namen“. Jaap van Zweden war vielen Journalisten (trotz umfangreicher Diskografie, trotz nicht lang zurückliegender Deutschlandtournee des von ihm geleiteten Hong Kong Philharmonic Orchestra) noch nicht einmal im Ansatz bekannt. Das sagt viel aus, ebenso wie das: Seltsam leidenschaftslose Rezensionen und Artikel finden sich in der heutigen Musikpresse, sodass man sich eigentlich nicht sehr wundern muss, dass allerorten die Leser in Scharen davonlaufen.
Auch das orchestereigene Label des Dallas Symphony Orchestra war in Deutschland bislang nicht eben unter den Labels zu finden, die besonders häufig rezensiert werden. Mit der neuen Einspielung von Mahlers Dritter unter Leitung Jaap van Zwedens ist dies nun einmal anders: Grund ist eben die Berufung van Zwedens zum Chef in New York. Und dort ist er ja bei einem Orchester gelandet, das niemand Geringeren als Gustav Mahler höchstpersönlich Anno 1909 zum Chefdirigenten erkor und (viel) später dann mit Leonard Bernstein den wegweisenden Mahler-Zyklus der 1980er-Jahre vorlegte. Unter diesem Aspekt ist es natürlich äußerst spannend zu erfahren, was van Zweden aus einer Sinfonie wie Gustav Mahlers Dritter macht.

Das Endergebnis ist sehr erfreulich, viele werden sagen erstaunlich. Jaap van Zweden ist glücklicherweise kein Dirigent, dem es vor allem um Pomp und Gloria geht. Eigentlich ist er das krasse Gegenteil des bisherigen Chefdirigenten der New Yorker Philharmoniker Alan Gilbert, der ein echter „Showman“ war. Vielmehr fällt van Zwedens Mahler zunächst einmal durch eine vornehme Zurückhaltung auf. Das Fortissimo des Jaap van Zweden ist meilenweit entfernt von dem Fortissimo der Art Draufgänger, wie es sie schon zuhauf in der Mahler-Diskographie gibt. Jaap van Zweden greift in punkto Orchesterdynamik erfreulich selten zum Äußersten. Damit kommt er dem Mahler-Orchester der Jahrhundertwende vermutlich sehr viel näher als ein Großteil der Dirigenten, die meinen, bei Mahler mal “voll aufdrehen“ zu müssen.

Mit dem Dallas Symphony Orchestra steht van Zweden bei dieser Einspielung ein guter, wenn vielleicht auch nicht in allen Position exzellent besetzter Klangkörper zur Verfügung. Man darf sehr gespannt sein, wie dieser hochinteressante, elegante Dirigent ein Orchester wie das New Yorker Philharmonic dirigieren wird, das aus einem ganz anderen Holz geschnitzt ist.

Aber auch mit dem Dallas Symphony Orchestra erreicht van Zweden herausragend schöne Momente. Die grandiose Orchestrierung von Mahlers dritter Sinfonie nimmt der niederländische Dirigent zum Anlass zu einem veritablen Klangfarbenrausch.
Spielzeittechnisch ist Mahlers dritte unter van Zwedens Händen eine der längeren Einspielungen, die am Markt verfügbar sind. Das passt gut ins Bild: van Zweden hatte bei Naxos bereits ein „Rheingold“ vorgelegt, bei dem besonders gemäßigte Tempi zu Diskussionen in der Fachpresse Anlass gaben. Bei dieser Mahlereinspielung ist es ein ähnliches Bild: Ich persönlich finde das eigentlich ganz angenehm, denn hier ist ein Dirigent, der sich nicht an gängige Muster hält, sondern der wirklich aus dem Notentext eine eigene Interpretation erarbeitet. Mit seinen meist gemäßigten Tempi steht er ja auch in einer guten Tradition. Das erinnert an Knappertsbusch, an Kegel und Jochum. Dass eine solche Auffassung heute nicht modisch ist, dürfte klar sein. Dabei ist dies doch sehr erfrischend: Ein Dirigent, der sich nicht um Moden schert, wird in den nächsten Jahren die Geschicke des bedeutendsten US-amerikanischen Orchesters leiten. Wie schön!

[Grete Catus, April 2016]

Prokofieff „am Stück“

Sergej Prokofieff
Sämtliche Ballette
The Moscow Radio Symphony Orchestra
The USSR Ministry of Culture Symphony Orchestra
The Symphony Orchestra of the Bolshoi Theatre
Gennadij Roschdestwenskij
Label: Melodiya
Art.-Nr.: MELCD1002430, EAN: 4600317124305

Grete0009

Roschdestwenskijs geniale Gesamteinspielung aller Prokofieff-Ballette: Teuer, aber auch endlich mal „am Stück“.
Die russische Firma Melodiya war zwischen der Gründung des Staatsunternehmens in den 1960er-Jahren bis in die frühen 1990er-Jahre praktisch das Monopolunternehmen für Schallplattenherstellung und -verkauf in der Sowjetunion. Zu den Hochphasen des Labels soll die Firma sagenhafte 120.000 Mitarbeiter gehabt haben, und das dürfte wohl ein einsamer Weltrekord gewesen sein: Selbst mit viel Fantasie kann man sich nicht vorstellen, dass westliche, global operierende Unterhaltungskonzerne wie Universal Music, EMI, Warner Brothers, BMG, Sony oder Naxos jemals in ihrer Firmengeschichte es auch nur annähernd auf eine so hohe Mitarbeiterzahl gebracht haben.

Jedoch lag in diesem großen Mitarbeiterpool auch das größte Problem der Firma. Denn als nach der politischen Wende die Privatisierung in Russland natürlich auch im Schallplattenbereich Einzug hielt, wurde schnell klar, dass sich dieser riesige Apparat nicht wirtschaftlich weiterbetreiben lassen würde. Und so ist das, was heute noch von Melodiya übrig geblieben ist, ein kleines Büro in Moskau mit zwei Handvoll Spezialisten, die nun aus einem unglaublichen Fundus an Aufnahmen aus der glorreichen Vergangenheit des Labels schöpfen können.

Neuester Coup des Melodya-Labels ist eine wunderschön ausgestattete Box mit der Gesamteinspielung aller vollendeten Ballettmusiken Sergej Prokofieffs unter der Gesamtleitung Gennadij Roschdestwenskijs. Dieser dirigierte die Kollektion in einem langen Zeitraum, nämlich zwischen 1959 bis 1990. Vielleicht ist das der Grund, warum diese herrliche Gesamteinspielung bislang noch nie “am Stück“ (also in einer Gesamtausgabe) erschienen ist, sondern bislang nur in LP-oder CD-Einzelausgaben. Zum einen lagen bislang noch nicht alle Einspielungen aus diesem Zyklus digitalisiert vor und waren damit für CD verfügbar, und zum anderen waren sie, wenn sie in den 1990er-Jahren vereinzelt doch auf CD erschienen, zumeist in Windeseile wieder vergriffen.

Diese neu editierte Box dürfte demnach ein wertvolles Objekt für Sammler sein, die schon lange nach diesen hervorragenden Aufnahmen suchen, denn, dass diese Aufnahmen hervorragend sind, darüber brauchen wir nicht erst große Reden halten. Roschdestwenskij war damals einer der allerbesten Dirigenten (nicht nur im Hinblick auf Russland) und hat mit den von ihm geleiteten Orchestern immer wieder hervorragende Arbeit geleistet. Erst im letzten Jahr ist sein ungewöhnlicher Vaughan Williams-Sinfonienzyklus, den er in den 1980er-Jahren für den russischen Rundfunk eingespielt hatte mit dem renommierten International Classical Music Award (ICMA) ausgezeichnet worden. Ebenfalls in den 1980er-Jahren trumpfte Roschdestwenskij mit einem großartigen Schostakowitsch-Zyklus bei Melodiya auf, der es auch „im Westen“ in viele Referenzlisten schaffte. Nun ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass endlich auch diese hervorragende Prokofieff-Gesamtaufnahme in ähnlicher Weise gewürdigt wird.

Denn mal ehrlich: wer kennt hierzulande die Ballette Prokofieffs wirklich? Wer kennt etwa das Ballett „Auf dem Dnjepr“, wer kennt „Das Märchen von der steinernen Blume“, wer kennt “Der Narr“, wer kennt „der stählerne Schritt“? Sicher, von „L’enfant prodigue“ („Der verlorene Sohn“) hat man wenigstens schon mal etwas gehört, wenn auch die Konzertsuite daraus deutlich vertrauter ist als das komplette Ballett, das es hier zu hören gibt. Und dann blieben da noch die beiden „Kassenschlager“ „Romeo und Julia“ und „Aschenbrödel“. Sie beide haben es streng genommen als einzige Ballette Prokofieffs auch im Westen in den Rang von Repertoireklassikern geschafft.

Das heißt aber nicht, dass die anderen Ballette Pokerface weniger wertvolle Kompositionen wären. Ganz im Gegenteil: es ist absolut frappierend, was für großartige Musik dieses Set bereithält. Selbst die Aufnahmequalität ist für Melodiya-Verhältnisse sogar bei den alten Aufnahmen aus den späten 1950er-Jahren ausgezeichnet (dies natürlich stets in Relation betrachtet zum Aufnahmezeitpunkt). Doch auch die Deutsche Grammophon hat in den 1950er-/1960er-Jahren keine besser klingenden Aufnahmen vorgelegt.

Ausstattungsmäßig kommt die Box wertig daher, in stabilem Karton mit Coverdekoration in UV-Lack, und mit überraschend modern gestalteten Digipaks für die einzelnen CDs. Außerdem mit einem stabilen Hardcover-Buch als Booklet. Die Einführungstexte, die Melodiya zu diesen Werken bietet, sind geradezu luxuriös ausführlich (wenn auch nur in englischer und russischer Sprache abgedruckt), zudem entschädigen enorm viele, zum Teil hochinteressante und in sehr guter Druckqualität wiedergegebe Fotos von den Uraufführungsausstattungen der in der Box enthaltenen Ballette für einen reichlich bemessenen Kaufpreis.

Diese Box ist nämlich nicht nur für Prokofieffsammler eine echte Schatztruhe, sondern auch für das Label selbst. Sicher wird man erst einmal schlucken, wenn man die rd. 120 Euro auf den Ladentisch legen muss, die diese teure 9 CD-Box kostet. Aber nicht nur ist dies im Endeffekt ja eine Anschaffung fürs Leben, sondern durch die limitierte Auflage dieser Box (wenn auch nicht nummeriert) ist es wahrscheinlich, dass sich auch diese Edition wieder zum Sammlerstück mausert, so, wie es schon vielen anderen Melodiya-Veröffentlichungen widerfahren ist.

[Grete Catus, März 2016]

Im Reich des feisten Ritters

Ralph Vaughan Williams
„Fat Knight“-Suite, Henry V Overture, Serenade to Music (Orchesterversion)
Label: Dutton Epoch
EAN: 76538773282
Art.-Nr.: CDLX7328

This is a free design for Deviantart Photoshop Files. Created with a Creative Commons Licence (http://creativecommons.org/licenses/by-nd/3.0/) Rules for use: 1. When using this template, post copyright post in your project. Always link to this deviant page for copyright. Include author name and link. 2. Do not sell, redistribute or copy this file. 3. Downloads are only from this URL. 4. When using in your project, leave a comment with link to project please...

Bis etwa 2007 waren die frühen Werke des Komponisten Ralph Vaughan Williams mit einem Bann belegt. Der Komponist hatte selbst verfügt, dass seine frühen Werke bis zur Norfolk Rhapsody No. 1 nicht veröffentlicht werden sollten. Zum Glück konnte er der Versuchung widerstehen, diese Kompositionen der Vernichtung preiszugeben. Wie wehmütig sind wir alle, dass etwa Komponisten wie Jean Sibelius oder Johannes Brahms, um nur einige Beispiele zu nennen, tatsächlich wohl ganze Werkbestände, mit denen sie nicht zufrieden waren, vernichtet haben. Unabhängig von der Qualität der untergegangenen Stücke, fehlt uns dadurch ein wertvoller Einblick in bestimmte Kompositionsphasen dieser Genies.

Kurz vor ihrem Tod hat Vaughan Williams zweite Ehefrau Ursula Vaughan Williams das Publikations- und Aufführungsverbot ihres Mannes aufgehoben. Seitdem gibt es CD-Veröffentlichung auf CD-Veröffentlichung, meist von den einschlägigen britischen Labels, die sich mit Vaughan Williams bislang vollkommen unbekanntem Frühwerk beschäftigten. Was da zutage kam, war sehr interessant, um die Entwicklung des Komponisten nachzuvollziehen, offenbarte aber keine überraschenden neuen Meisterwerke. Nun ist aber auch diese erste Welle von Veröffentlichungen vorüber, und die Labels machen sich offenbar Gedanken, wie sie die vielen Vaughan Williams-Fans weltweit mit weiteren, bislang unveröffentlichten Pretiosen beglücken können. Was da nahe liegt, sind offenbar Bearbeitungen.

Martin Yates hat sich in den letzten Jahren mit solchen Bearbeitungen immer wieder hervorgetan, sei es auf dem eigenen Label der Vaughan Williams Society (Albion Records), sei es bei anderen Labels wie etwa SOMM Recordings oder, wie hier, Dutton Epoch. Auf der neuesten Vaughan Williams-CD von Dutton überrascht uns eine Orchestersuite aus Vaughan Williams Oper „Sir John in Love“. Der Komponist hatte tatsächlich vor, diese Falstaff-Oper „Fat Knight“ zu nennen, wobei er jedoch wohl irgendwann einsah, dass dieser Titel mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Zuschauermassen in die Opernhäuser treiben würde.

„Sir John in Love“ klingt dann doch deutlich reizvoller. Nun hat Martin Yates eine Orchestersuite aus der Oper auf der Basis eines vom Komponisten angefertigten Klavierauszugs für vier Hände transkribiert. Somit steht uns nun eine ausgesprochen schöne Orchestersuite zur Verfügung, die es vorher noch nicht gab. Angereichert wird das Programm durch eine weitere Transkriptionen, nämlich die eigentlich für Blaskapelle geschriebene „Henry V“-Ouvertüre, sowie durch die orchestrale Version der eigentlich für 16 Gesangssolisten und Orchester geschriebene „Serenade to Music“.

Für Vaughan Williams-Fans, und diesmal nicht nur für die, ist das ein durchaus lohnendes, kurzweiliges Programm. Das ausführende Royal Scottish National Orchestra macht seine Sache wie immer recht gut, hat aber auch die von diesem Orchester bereits bekannten Probleme im Bereich der Blechbläser, die bei den Schotten in meinen Ohren keinen internationalen Spitzenstandard repräsentieren. Der Sound der Aufnahme entspricht dem üblichen guten aber routinierten Dutton-Standard. Auch wenn das Label neuerdings mit der Veröffentlichung auf SACD punkten will (was zweifellos durch den Mehrkanalaspekt ein Pluspunkt für Leute mit Surroundanlage sein mag), so ist der Aufnahmestandard bei Dutton nach wie vor meist nicht mehr als gute Tonmeister-Routine. Und so durfte sich hier diesmal Michael Ponder austoben, der zu den aus UK bekannten Freelancern gehört, die u.a. auch für DECCA, onyx oder Naxos die Mikrofone aufstellen.

Als Fazit könnte man ziehen, dass CDs wie diese unbestreitbar den Vorteil haben, dass sie neue Blickwinkel auf die Musik von Ralph Vaughan Williams eröffnen. Gravierender Nachteil der Vaughan Williams-Veröffentlichungen der letzten Jahre, die sich ja ganz überwiegend mit dem bislang unbekannten Frühwerk oder dem in irgendeiner Form abseitigeren Werk des Komponisten beschäftigt haben, sehe ich persönlich darin, dass sie zunehmend vom Hauptwerk ablenken.

So sei nochmals betont, dass Vaughan Williams am allerbesten über seine Sinfonien entdeckt werden sollte und über seine wunderbaren, leider sträflich vernachlässigten Instrumentalkonzerte. Auch seine durchaus interessanten Opern sollten ruhig stärker Zentrum des Interesses gerückt werden. So glücklich ich als eingeschworener Vaughan Williams Fan über jede Neuentdeckung bin, so muss ich doch sagen, dass sie nicht immer halten, was sie versprechen. Und das kann sogar etwas abträglich sein, wenn es darum geht, neue Anhänger für die Musik dieses großen britischen Komponisten zu begeistern. Und so ist doch diese neue Vaughan Williams-CD von Dutton letztendlich das, was der Brite wohl ein „Mixed Bag“ nennt.

[Grete Catus, März 2016]

Raritäten in hervorragenden Aufnahmen!

Label: Lyrita
Art.-Nr.: REAM1125
EAN: 5020926112521
Grete0007

Anthony Milner war einer jener Komponisten, die erst nach dem erstaunlichen Aufblühen der britischen Musik an der Schwelle zum 20. Jahrhundert überhaupt zur Welt kamen: 1925 geboren, 2002 verstorben gehört er zu einer Generation britischer Komponisten, jünger als Britten und Tippett, die leider nur wenig Beachtung gefunden hat.

In Fragen eines Generationenbegriffs kann man Milner am ehesten mit Robert Simpson vergleichen, der nur vier Jahre vor Milner geboren wurde aber schon 1997 starb. Musikalisch hinkt dieser Vergleich aber, denn während Simpson erkennbar den Bruch mit der Tradition suchte und eine qualitativ hochstehende aber doch recht eigenwillige freitonale Musik komponierte, wirkt Milner auf den ersten Höreindruck wie ein versöhnendes, verbindendes Glied zwischen den Komponistengenerationen. Und so hört man in seiner Musik sowohl Einflüsse der Altmeister wie etwa Vaughan Williams als auch (am deutlichsten) Einflüsse jener glücklosen mittleren Generation britischer Komponisten wie etwa Wordsworth oder Finzi als auch erkennbar Einflüsse der ersten bekennenden britischen Modernen wie Michael Tippett oder Benjamin Britten.

Auf vorliegender CD sind zwei Kompositionen Anthony Milners in Einspielungen der BBC vertreten: „The Song of Akhenaten“ (Milners Opus 5 aus dem Jahr 1954) sowie „The Water and the Fire“ von 1961. Die Aufnahmen sind klanglich erfreulich gut, dies auch in Anbetracht der Tatsache, dass es sich hier um Privatmitschnitte des Lyrita-Gründers Richard Itter handelt. Die BBC sah in diesen Mitschnitten keinen Wert mehr und vernichtete in einer groß angelegten Lösch- und Wegwerfaktion die Masterbänder.

Auch die interpretatorische Qualität ist erstklassig! Immerhin handelt es sich hier um bemerkenswert groß besetzte Werke mit gleich zwei zwei Chören (BBC Northern Singers, Manchester Grammar School Boys Choir), Kirchenorgel, großen Sinfonieorchestern (BBC Northern Symphony Orchestra/BBC Training Orchestra) und drei Gesangssolisten (Hazel Holt, John Elwes und Stephen Roberts). Offenbar handelt es sich hier auch um BBC Studiomitschnitte, nicht um Liveaufnahmen, was es noch unverständlicher macht, warum diese faszinierenden, hochqualitativen Tondokumente von der BBC aussortiert wurden. Hatte man hier doch einen beachtlichen Aufwand investiert, um diese Mitschnitte zu produzieren.

Die beiden hier eingespielten Stücke, die man am Ehesten als Oratorien vermitteln könnte und die mal an Tippetts „A Child in Time“ mal an Brittens „War Requiem“ denken lassen und doch so ganz anders sind und eine ganz andere „Klangfarbe“ transportieren, sind hochrangige Beispiele für britische Kompositionskunst. Anthony Milner präsentiert sich als Komponist auf der Höhe seiner Zeit aber auch als musikalischer Querkopf. Seine akademischen Verbindungen zu Hochschulen in den USA scheint man zudem an mehreren auffällig „amerikanisch“ klingenden Passagen heraushören zu können.

In der Tat kann zunächst der Eindruck von Kuriositäten der Musikgeschichte entstehen, wenn man dieses Album hört. Ist die musikalische Sprache Milners doch so enorm bunt und farbenreich, und dies zumal in einer wahren Flut von Ideen, die nicht immer auf den ersten Blick geordnet wirken. Bei mehrmaligem Hören beeindruckt jedoch dieser individuelle Fingerabdruck umso mehr und man erkennt eine bemerkenswerte werkimmanente Musikarchitektur.

Beide Stücke auf diesem Album wurden dirigiert von Meredith Davies, der bei diesen Aufnahmen aus den Jahren 1973 und 1977 zeigt, dass er auch bei Werken dieser gigantischen Besetzungsgröße eine sehr feine, geradezu vorbildliche Orchesterbalance herzustellen verstand. Zwar würde man sich manche Phrasierung flüssiger, flexibler wünschen, aber sind dies auch wirklich anspruchsvolle Partituren, deren schiere Bewältigung, geschweige denn Ausgestaltung, manchem gestandenen Dirigenten Angst hätte bereiten können.

Absolut begeisternd sind in „The Song of Akhenaten“ die dunkel timbrierte Stimme von Sopranistin Janet Price, die jederzeit Herrin der Lage zu sein und sich in dieser stimmlich fordernden Musik ganz zuhause zu fühlen scheint sowie die erstaunliche Klasse des „BBC Training Orchestra“, dessen Name ich zum Anlasse nehme anzunehmen, dass es sich um ein Orchester mit Nachwuchsmusikern gehandelt haben muss. Die Aufnahme von „The Water and the Fire“ kann zwar ebenfalls mit namhaften Solistinnen und Solisten aufwarten, nur erreichen diese zu keiner Zeit die hervorragende Klasse von Janet Price.
Kurz und gut: Wieder einmal macht Lyrita kulinarische Raritäten des britischen Musiklebens in bemerkenswert guten Aufnahmen verfügbar, die durchaus Referenz- und Archivcharakter haben. Diese Musik soll und muss wieder gehört werden. Anthony Milner war ein hoch interessanter Komponist, und zumindest mich hat diese CD sehr neugierig gemacht, was noch von diesem Musikschöpfer überliefert ist.

[Grete Catus, März 2016]

Inniglich berührend in sehr guter Interpretationsqualität

Julius Röntgen
Werke für Violine und Violoncello (3 CD-Box)
Label:
Art.-Nr.: CTH2628/3, EAN: 4003913126283

CTH26283

Musik für Solostreicher ist unter musikalischen Laien häufig als schwierig und akademisch verrufen. Während das bei der Musik Johann Sebastian Bachs wahrscheinlich vor allem daran liegt, dass man zwar sehr viele aber verschwindend wenige wirklich gute Aufnahmen seiner Musik für Solovioline und -Cello findet, so liegt es bei musikgeschichtlich späteren Komponisten durchaus wohl auch manchmal daran, dass diese sich beim Messen mit ihrem großen Vorbild Bach, einfach als untalentiert und uninteressant herausstellten. Monolithen wie die Solosonaten des Belgiers Ysaÿe sind eben das, was sie sind: Monolithen – herausragende Ereignisse der Musikgeschichte, echte Jahrhundertwerke, die nun einmal nicht alle Tage und von jedem komponiert werden.

Wenn dann ein CD-Label daherkommt, und erklärt, man habe praktisch unbekannte Musik für Solostreicher anzubieten, die sich auch mit großen Vorbildern der Gattung messen kann, dann ist Skepsis selbst dann angebracht, wenn als Komponist Julius Röntgen einem vom Cover anschaut. Mit entsprechender Skepsis ging ich also diese Box an: Solomusik für Violine und für Cello sowie für die Kombination aus beiden Instrumenten, und das auf drei CDs. Was würde mich da erwarten?

Einerseits ist in einem solchen Fall davon auszugehen dass der Komponist es wirklich ernst meinte, und sich intensiv mit der Gattung Solostück auseinandergesetzt hat. Andererseits verheißt das, ehrlich gesagt, auch Mühsal: drei CDs mit Musik für Solostreicher. …und schon war auch ich den gängigen Klischees verfallen. Zu viel bekommt man wohl als Rezensent auf den Tisch, was der Erwähnung eigentlich streng genommen nicht wert ist.

Zum Glück wurde ich bei dieser Box eines Besseren belehrt. Vor allem die Musik für Solo-Cello ist hier erwähnenswert. Julius Röntgen hat außerordentlich inspirierte, eigentlich für ein breites Publikum genießbare Werke komponiert, die von der Cellistin Katharina Troe wirklich begnadet dargeboten werden. Mit viel, viel Musikalität, einem sicheren Händchen für flüssige Phrasierung, und einer Innigkeit, die man bei Musikern heute nur selten findet, macht sie vor allem für CD 2 dieser 3-CD-Box zu etwas ganz Besonderem. Hier trifft die stärkste Interpretin dieses Sets auf die stärkste Musik, die Röntgen für Solostreicher komponiert hat.

Auf CD 1 liefert Oliver Kipp ebenfalls einen guten Job ab, wirkt aber vor allem aus technischer Perspektive manchmal um eine Nuance bemüht. Dieser leichte Makel wird jedoch auch von Kipp durch eine Musikalität und Hingabe wettgemacht, die in heutiger Zeit einfach etwas Besonderes ist.

Auf CD 3 spielen beide im Duo, was allerdings offenbart, dass es sich da um zwei recht unterschiedliche musikalische Typen handelt. Auch den Klang der Instrumente finde ich im Duo nicht ganz zueinander passend. Kipp spielt eine brillante, „Stradivari-like“ klingende Violine, Katharina Troe hat einen Celloklang, den ich als „samtig“ beschreiben würde, etwas zurückhaltender, vielleicht auch mit ein wenig Understatement gesegnet, was mir an ihr sehr gut gefällt.

Bleibt abschließend die Frage, ob man diese Box, die immerhin rund 45 € kostet, auch kaufen sollte. Und ich würde sagen: das sollte man auf jeden Fall! Röntgen erweist sich als ein sehr interessanter Komponist. Im Gegensatz zu vielen anderen aus der Zeit, die ihre Hörer mit Solowerken plagten, hatte Röntgen wirklich etwas beizusteuern. Wenn er sich am Vorbild Bach rieb, und das ist durchaus nicht in allen Werken der Fall, die auf dieser CD erklingen (Gott sei Dank!), so hatte Röntgen wirklich etwas zur Musikgeschichte hinzuzufügen, so blitzte die Inspiration dieses ungewöhnlichen Komponistentalents auf und bildete eine eigene, starke Stimme aus. Während mich persönlich aber die symphonische Musik Röntgens nie wirklich berühren konnte, hat es diese, auf das einzelne Streichinstrument reduzierte Kammermusik vom ersten Ton an geschafft.

Ich bin begeistert, und empfehle deshalb diese wunderbare Musik jedem Hörer, für den Musik mehr ist, als bloße Hintergrundbeschallung. Diese CD-Box wird viele Jahre zu begeistern wissen und hiterlässt dankbare, beglückte Hörer. Man kann sich mit diesen Werken immer wieder neu beschäftigen, und von der Interpretation wird man definitiv nicht enttäuscht. Insofern sind die 45 €, die diese Box kostet, eine Investition im besten Wortsinne: Man kann über die Zeit nur gewinnen.

 [Grete Catus, März 2016]

Casellas Aufbruch in die Musikmoderne: Von Noseda fast zu schön dirigiert

CHANDOS/note 1
Katalog-Nr.: CHAN10880
EAN: 095115188026

Grete0006

Schon lange verfolge ich die äußerst spannenden Reihen mit Einspielungen der klassischen italienischen Musikmoderne bei den Labels Chandos und Naxos. Beide Labels haben sich ihre Meriten redlich verdient. Während bei Naxos solide gemachte Einspielungen in großer Vielfalt vorliegen, scheint sich Chandos eher die Rosinen aus dem Kuchen zu picken.

Als übergreifendes Motto könnte man ausloben: Bei Chandos regiert perfekter, polierter Schönklang ohne die Ecken und Kanten dieser Musik zu überbetonen, bei Naxos gibt es ruppig-solides Orchesterabenteuer mit ausdrücklicher Betonung der modernistisch/futuristischen Aspekte dieser Musik.

Daraus geht schon hervor, dass beide Konzeptionen nicht restlos überzeugen können. Klar, denn weder Gianandrea Noseda (mit dem in allen Gruppen vorzüglich besetzten BBC Philharmonic) wird hier Casella ganz gerecht noch das inzwischen tragischerweise liquidierte Orchestra Sinfonica di Roma unter der Leitung Francesco La Vecchias. Beide Parteien bieten keine wirklich ausgewogene, sondern eher eine tendenziöse Interpretation.

Nun muss man aber froh sein, dass es überhaupt Einspielungen dieser Musik gibt, denn bis vor wenigen Jahren waren Casellas Sinfonien das vielleicht bedauerlichste aller Desiderate am CD-Markt. Dabei sei darauf hingewiesen, dass jedenfalls bei Casellas sinfonischem Erstling eine durchaus breite Hörergruppe zu gewinnen sein müsste, denn die Musik kommt einerseits den Anhängern der Fraktionen Strauss, Mahler, Bruckner und Wagner entgegen und bietet andererseits denjenigen, die sich für den aufkeimenden Expressionismus interessieren, zahlreiche Ansatzpunkte und durchaus auch einige Überraschungen. Mich persönlich erinnern Casellas Sinfonien (und dabei vor allem die hier zu hörende Erste) immer wieder an die Gattungsbeiträge George Enescus, vor allem auch im Hinblick auf den gewaltigen Orchesterapparat, der hier zum Einsatz kommt.

Und was in dieser Musik alles drin steckt! Hier haucht der Jugendstil gerade noch seinen Lebensodem aus und wird live vor den Ohren des Publikums überrollt von der Dampfwalze der Moderne. Und auch, wenn man Zeitgeschichte und Musikgeschichte nicht ohne Weiteres verquicken soll, ist es doch auch aufschlussreich darüber nachzudenken, dass diese Musik „am Vorabend“ des Ersten Weltkriegs in den Jahren 1912-13 geschrieben wurde.

Gianandrea Noseda erreicht mit dem BBC Philharmonic einen sahnig-saftigen Schönklang, den weder die Berliner Philharmoniker besser hinbekommen hätten noch Mariss Jansons beim Concertgebouw Orkest. Das Niveau des BBC Philharmonic ist bei dieser Einspielung wahrlich bestechend. Ob es, wie gesagt, der richtige Weg ist, um der Musik Casellas wirklich nahezukommen, sei dahingestellt. Ich persönlich finde diesen Sound sehr reizvoll. Auch, weil er einem die Annäherung an diese schwierig zu rezipierenden Werke fraglos erleichtert.

Die weiteren Stücke auf diesem Album sind die wuchtige Elegia eroica Op. 29 von 1916, eine Musik mit fahl-gespenstischen Marschrhythmen und voller Anklänge an eine fatale Zeit. Dieses Werk ist mit seiner erschütternden Aura ganz atemberaubend. Etwas weniger tragend, nichtsdestotrotz schön anzuhören und in ihrer frappierenden „Wunderhorn“-Klangwelt sicherlich am nächsten am Kollegen Mahler angesiedelt, sind die Sinfonischen Fragmente aus „Le Couvent sur l’eau“, Überraschungsauftritt von Sopranistin Gillian Keith inklusive.

Kurz und gut: Dies ist eine gelungene, wichtige, mitreißende und auch sehr schöne CD mit ganz hervorragender sinfonischer Musik, die häufiger gespielt und gehört werden sollte. Aber diese Aufnahme ist ebensowenig wie die der Kollegen vom Naxos-Label als objektiv zu bezeichnen, wenn man sich exemplarisch mit Casellas sinfonischem Schaffen beschäftigen möchte. Eine Referenzaufnahme der ersten Sinfonie gibt es derzeit schlichtweg nicht am Markt, und diese Einspielung von Gianandrea Noseda ändert diesen bedauerlichen Zustand nicht wirklich.

[Grete Catus, Februar 2016]

Eine positive Überraschung aus Ungarn

Eugene Zador
Festouvertüre (1963)
Variationen über ein ungarisches Volkslied (1919)
Tanz-Symphonie (1936)
Budapest Symphony Orchestra MÁV
Mariusz Smolj
Naxos 8.573274, EAN: 747313327478

Grete0005

Neben vielen anderen Vorzügen, ist das Schöne am Label Naxos, dass es einen immer wieder auf erstaunlich gute Musik von erstaunlich unbekannten Komponisten aufmerksam macht. Mir ging es zuletzt so mit diesem Album mit Musik des ungarisch-amerikanischen Komponisten Jenő Zádor, der nach seiner Emigration in die USA den Namen Eugene Zador annahm. Eine sehr positive Überraschung!

Jenő Zádor wurde 1894 in Südungarn nahe der Grenze zu Kroatien geboren. Zur historischen Einordnung: Zádor ist damit einige Jahre jünger als Béla Bartók und Kodály. Musikalisch war er jedoch weniger progressiv, blieb stets in einem spätromantischen Duktus, den er allerdings mit seinen zum Teil hoch dramatischen Kompositionen bis an die Grenzen der Tonalität aufplusterte.

Zádor war in Wien Student Max Regers und wurde dort 1921 selbst Musikprofessor. Später wechselte er an die Franz-Liszt-Musikakademie Budapest und kehrte somit in sein Heimatland zurück.

Im Zuge der Bedrohung Ungarns durch das Terrorregime der Nazis ereilte ihn dasselbe Schicksal wie zahllose andere osteuropäische Musiker und Komponisten: Er musste in die USA emigrieren. Wie viele andere Komponisten bestritt Zádor dort sein Leben mit Filmmusik. Allerdings komponierte er sie nicht, wie uns die englischsprachige Wikipedia weismachen will (einen deutschen Wikipedia-Eintrag für Eugene Zador gibt es übrigens noch nicht), sondern er war mit der Orchestrierung der Musik anderer, namhafterer Komponisten beschäftigt.

Und so arbeitete Zador fleißig mit an etwa Miklós Rózsas Jahrhundertsoundtrack „Ben Hur“ sowie am Soundtrack anderer Monumentalfilme der 1960er-Jahre wie „El Cid“ oder „König der Könige“, ohne dass sein Name je im Abspann dieser Filme aufgetaucht wäre. Denn für die Nennung im Abspann waren Leute wie Zádor den Studios von Hollywood scheinbar schlicht nicht wichtig genug. Zador war also einer der vielen Lohnarbeiter, die sich mit musikalischer Routinearbeit herumplagen mussten, und das zu einem höchstwahrscheinlich sehr kargen Salär.

Abseits der Filmmusik war der Ungar wohl in erster Linie Opernkomponist. Aber seine mindestens 12 Opern (die so spannende, Neugier erregende Namen tragen wie „Yehu, eine Weihnachtslegende“, „X-mal Rembrandt“, „Die scharlachrote Mühle“ oder „Der magische Stuhl“) werden heute nicht mehr gespielt.

Naxos hat inzwischen aber einige Alben mit Instrumentalmusik Eugene Zadors im Programm. Dieses brandneue ist jedoch das erste, durch das ich auf diesen interessanten Komponisten aufmerksam wurde. Es enthält mit der Festouvertüre von 1963 ein Spätwerk des 1977 in Hollywood verstorbenen Komponisten, ein Frühwerk (Variationen über ein ungarisches Volkslied von 1919) und ein sinfonisches Hauptwerk („Tanz-Symphonie“ – in der Zählung der Symphonien Zadors die Nummer 3 – von 1936) aus seiner Zeit als Musikprofessor in Budapest.

Die Musik Zadors wirkt für uns, denen der musikalische Blick in den Rückspiegel mit einer Fernsicht offensteht, die Generationen vor uns logischerweise nicht hatten, eigentlich von Beginn seiner Karriere an sehr filmmusiktauglich: Bei seinem Studium in Wien hatte sich Zador offenbar stehenden Fußes in neckische Geigerglissandi verliebt, die bis zuletzt ein Markenzeichen seiner Musik blieben und die der spieltechnisch oft mit höchsten Schwierigkeitsgraden einhergehenden Sinfonik dieses Komponisten eine verschmitzte Leichtigkeit verliehen. Selbst in der mit haarsträubend schwierigen Orchesterparts einhergehenden „Tanz-Symphonie“ von 1936 scheint der Himmel voller Geigen zu hängen – während den Musikern wahrscheinlich die Schweißperlen auf der Stirn stehen. Vor dem inneren Auge des Hörers läuft dazu ein nie gedrehter Schwarz-Weiß-Film ab.

Selbst Zadors frühe „Variationen über ein ungarisches Volkslied“ klingen schon wesentlich kosmopolitischer als es Bartók oder Kodály bei ihren ähnlich gelagerten Werken je waren. Trotzdem begeistert diese Musik auch durch einen Personalstil. Hat man sich in den quirlig-verspielten und irgendwie „zackig“ klingenden Stil Zadors erst einmal hineingehört, fällt es schwer, Vergleiche zu ziehen. „Klingt wie…“ funktioniert hier nicht. Zador hat seine eigene musikalische Handschrift gehabt, und das offenbar von Beginn seiner kompositorischen Karriere an.

Das Budapest Symphony Orchestra MÁV ist leider mit der komplexen Orchestrierung zum Teil deutlich überfordert. Hier müsste ein Spitzenorchester ran, das an allen Pulten mit exzellenten Musikern besetzt ist. Das ist das Budapest Symphony Orchestra MÁV leider nicht. Dirigent Mariusz Smolj hatte womöglich auch nicht genügend Probezeit zur Verfügung, um aus seinem Orchester etwas anderes herauszuholen, als eine Art von „Durchlavieren“ durch die mit jeder Menge spieltechnischer Untiefen gespickten Partituren. Alles in allem ist die Leistung aber noch gut und vermittelt zudem einen gewissen authentischen Charme, der mir persönlich manchmal viel besser gefällt als eine blitzeblank polierte Leistung, der aber die „Seele“ fehlt.

Fazit: Zador war ein Meister in der Beherrschung des musikalischen Handwerks. Er hat einen ausgeprägten Personalstil gehabt und eine eigene „Handschrift“. Das, in Verbindung mit der einfach spannenden und unterhaltsamen Art, die seine Stücke auszeichnet, ergibt eine äußerst reizvolle Musikmixtur, die mich spontan und nachhaltig begeistert hat.
Kompositorisch im Sinne der „musikalischen Erfindung“ ist Zador zwar nicht zur „A-Liga“ der Komponisten seines Landes zu zählen, gleichwohl gebührt ihm eigentlich ein höherer Rang, als er ihn heute, wo sein Name praktisch komplett vergessen ist, einnimmt. Die Einspielung durch das Budapest Symphony Orchestra MÁV mag Schwächen haben, entzückt aber auch mit einem authentischen Charme, der ebenso liebenswert wirkt, wie die eingespielte Musik.

[Grete Catus, Januar 2016]

Eine Perle in einem Meer aus Halbgarem

Claude Debussy
Sonate für Violine und Klavier
Sonate für Cello und Klavier
Sonate für Flöte, Viola und Harfe,
„Syrinx“ für Flöte Solo
Boston Symphony Chamber Players

Pentatone remastered classics, PTC5186226; EAN: 827949022661

Grete4

Zwar bin ich ein ausgesprochener Fan der Surroundtechnik, gleichwohl muss ich zugeben, dass mich die meisten der viel gepriesenen Wiederauflagen älterer Quadro-Einspielungen noch nie überzeugen konnten. Anders ist es mit diesem Album, das von vorn bis hinten überzeugt.

Ganz vorn mit dabei beim Wiederauflebenlassen der Quadro-Vierkanaltechnik ist das niederländische Label pentatone, faktisch ein Nachfolgeunternehmen des in den 1990er-Jahren in Würde verblichenen Philips Classics-Labels. Schon zu den allerersten Projekten der Anfang der 2000er-Jahre nach dem Philips-Exitus neu gegründeten Firma zählten Re-Issues von Quadro-Aufnahmen des einstigen Vorgängerlabels. Neuerdings haben sich die Niederländer das Archiv der Deutschen Grammophon vorgenommen, und was von dort aus bislang zutage trat, das war in aller Regel mehr als ernüchternd. Die Deutsche Grammophon war sowieso noch nie ein Label, das Hifi-Ansprüche zu erfüllen vermocht hätte – und das hat sich ja auch bis heute (leider!) so erhalten.

Die Quadro-Aufnahmen aus dem Keller der DGG, die bei pentatone bislang erschienen sind, waren deswegen auch alles andere als „Hingucker“ oder gar „Hinhörer“.

Überwiegend handelte es sich um Material aus der Zeit von Mitte der 1970er bis Anfang der 1980er, als die Deutsche Grammophon – sagen wir es offen – schon ihre besten Jahre hinter sich hatte. Sicher, Sternstunden hier und da. Aber das Gros der Veröffentlichungen triefte schon damals vor Langeweile.

Nun ist in der pentatone-Reihe der DGG-Quadro-Remasters doch noch ein veritables Highlight erschienen. Zwar ist es technisch ebenso wenig audiophil wie alle anderen Deutsche Grammophon-Platten aus dieser Zeit, aber interpretatorisch und vom Repertoire ist das erschienene Album sehr interessant.

Die „Boston Symphony Chamber Players“ spielen auf dieser Vierkanalaufnahme aus dem Jahr 1970 einen Großteil der Kammermusik Claude Debussys. Nun stutzt man angesichts des gesichtslosen Namens „Boston Symphony Chamber Players“. Wer genau spielt denn da bitteschön? Das Booklet der SACD klärt uns auf: Hier greift zum Beispiel der heute als Dirigent berühmte Michael Tilson Thomas in die Tasten und niemand Geringeres als Joseph Silverstein spielt die Solovioline. Zusammen bilden die beiden bei Debussys geradezu erotisch-freigeistiger, mit Orientalismen und Arabesken durchzogenen Violinsonate ein Duo, wie man es sich besser nicht vorstellen kann.

Der Gedanke an so etwas wie spieltechnische Hürden kommt gar nicht erst auf. Die hatten Silverstein und Tilson Thomas sowieso im Griff – …und konnten sich auf das Wichtige konzentrieren: Die Musik hinter den Noten, das irisierende Schillern dieser Musik, die tausend Farbschattierungen dieser Weltklassesonate.

Die anderen Solisten auf diesem Album wie Jules Eskin (Cello), Doriot Anthoy Dwyer (Flöte), Burton Fine (Viola) und Ann Hobson (Harfe) mögen weniger klangvolle Namen tragen als Silverstein und Tilson Thomas, sie pflegten aber bei dieser Aufnahme dieselbe Philosophie, wenn man so will: Äußerst beseelte, nachgerade hinreißende Einspielungen haben sie auf dieser insgesamt fantastischen Platte von der Cellosonate und der Sonate für Flöte, Viola und Harfe hinterlassen. Zu all dem kommt noch das kurze, aber zeitlos moderne „Syrinx“ für Flöte solo.

Wenn auch die anderen „Ausgrabungen“ aus dem Deutsche Grammophon-Archiv bei pentatone nicht viel Brauchbares hervorgebracht haben mögen, so ist doch wenigstens diese faszinierende Einspielung etwas für’s Leben. Wer diese Einspielung hat, kann damit immer glücklich sein. Es wird Alternativen geben, andere gelungene Einspielungen dieser herrlichen Musik. Aber übertreffen werden kann diese von vorn bis hinten einfach nur großartige Aufnahme aus Boston eigentlich nicht. Sie ist fast schon ein Gesamtkunstwerk, eine Einspielung, bei der man zu jeder Sekunde das Gefühl hat: So, genau so muss es sein. Eine Seltenheit und eine willkommene Wiederveröffentlichung in einer Flut von zu viel Halbgarem.

[Grete Catus, Dezember 2015]

Musik für Bauch und Seele mit Spaßgarantie

Cpo 777 875-2; EAN: 761203787524

Grete3

Manche Familien sind über Generationen hinweg der Musik verbunden. Die Familie Jurowski ist so eine Familie: Opa Vladimir – Komponist, Sohn Michail – Dirigent, Enkel Vladimir – ebenfalls Dirigent (wurde kürzlich unter etwas merkwürdigen Umständen zum Chef des RSO Berlin erklärt). Schön ist es, wenn sich die Generationen quasi die Hand reichen, so, wie auf diesem neuen Album des Labels cpo.

Michail Jurowski dirigiert hier zwei sehr reizvolle Werke seines Vaters Vladimir Jurowski. Jener war bei niemand Geringerem als Nikolai Mjaskowski in die Lehre gegangen, der bekanntlich zu den zwar noch immer vernachlässigten, nichtsdestotrotz aber bedeutenden Sinfonikern Russlands im 20. Jahrhundert zählte. Mjaskowski (der selbst bei Glière, Liadow und Rimsky-Korsakow studierte) hat einige der wichtigsten Komponisten der UdSSR ausgebildet, darunter u.a. Aram Chatchaturjan, Dmitri Kabalewski und Boris Tschaikowsky. Wer in Mjaskowskis Kompositionsklasse ging, der hatte auf jeden Fall Chancen auf eine Karriere in Sowjetrussland.
Vladimir Jurowski hingegen verstarb früh, und sein Œuvre geriet vielleicht auch deswegen in Vergessenheit. Zugegebenermaßen ist die auf diesem Album zu hörende fünfte Sinfonie und die Kollektion „sinfonischer Bilder“ die den neugierig machenden Titel „Russische Maler“ trägt, auch kompositorisch nicht dasselbe Niveau wie man es bei den prominenteren Schülern Mjaskowskis finden kann. Auch das ausführende Norrköping Symphony Orchestra lässt in fast allen Orchestergruppen durchscheinen, dass es nicht zur Elite der nordeuropäischen Sinfonieorchester gezählt werden kann, wenngleich es sich sehr erfolgreich bemüht, seine allerdings allzu offensichtlichen Schwächen vergessen zu machen.
Trotz dieser Einschränkungen möchte ich diese CD mit russischer Sinfonik jedem wärmstens ans Herz legen, der sich für tonale russische und nordeuropäische Orchestermusik des 20. Jahrhunderts begeistern kann. Warum? Weil diese Platte einfach Laune macht!
Diese CD ist schlicht und ergreifend eine große Spaßmaschine: Diese einfach klasse klingende Musik, die sofort ins Ohr geht, riesig besetzt und sehr effektvoll in Szene gesetzt, diese Anklänge an die Musik von Jurowskis Zeitgenossen, die eine Vergleichbarkeit mit Werken etwa Kurt Atterbergs, Gavriil Popovs oder in Teilen auch Dmitri Schoastakowitschs durchaus erlauben. Das ist einfach so unterhaltsam, dass man dran bleibt, und es verliert auch nach einigen Durchläufen keinen Reiz – was wiederum durchaus für die Kompositionen spricht.
Die fünfte Sinfonie ist riesig besetzt, inklusive einer megalomanisch eingesetzten Kirchenorgel im – am wenigsten überzeugenden – letzten Satz. Am meisten begeistert mich der erste Satz mit seiner sinistren Hintergründigkeit, seinem effektvollen Dynamikspektrum, den schlau eingesetzten Bläserpartien, den nachtglänzenden Streichern und dem „schostakowitschesken“ Schluss. Das hat man zu Jurowskis Zeit in den USA auch nicht besser oder effektvoller gemacht.
Leider fallen die beiden anderen Sätze der Sinfonie im Vergleich zum ersten etwas ab, was die Jurowski-Fünfte im Endeffekt daran hindert, zu den wirklich großen Werken ihrer Zeit gezählt werden zu können.
Die „Russischen Maler“ sind im Vergleich zur Sinfonie geradezu brav, was wohl auch die Bilder gewesen sein mögen, die der Komposition zum Vorbild dienten – zumindest legen deren Titel das nahe. Bilder, die Titel tragen wie „Iwan Tsarewitsch reitet den Grauen Wolf“, „Winterszene“ oder „Porträt einer unbekannten Frau“ klingen dann eben musikalisch entsprechend.
Ein Fazit für diese CD zu ziehen ist also alles andere als einfach: Einerseits haben objektiv betrachtet weder die Werke noch die Interpreten eine unumwundene Empfehlung verdient, andererseits macht dieses Album einfach so viel subjektiven Spaß, dass ich es immer wieder in den CD-Player schiebe und mich daran erfreue. Wer also den Kopf ausschalten kann, bekommt hier Musik für Bauch und Seele mit viel russischem Flair und einer 1A-Spaßgarantie.

[Grete Catus, November 2015]

Musikalischer Weltschmerz

Musikproduktion Dabringhaus und Grimm; MDG 948 1937-6

Grete2

„Auf der Kunst unserer klassischen Meister fußend [ist Kaun] doch im besten Sinne des Wortes ein Moderner, einer der Neues macht“ schrieb Georg Richard Kruse 1910 über den deutschen Komponisten Hugo Kaun, den heute wie damals die wenigsten Deutschen kennen bzw. kannten. Der Grund für das fast völlige Vergessen Hugo Kauns beim deutschen Publikum dürfte vor allem an dem gut 15-jährigen Auslandsaufenthalt Kauns im US-amerikanischen Milwaukee liegen. Dass Kaun jedoch mit dem Leiter der Reichmusikkammer Peter Raabe eng befreundet war und die Nationalsozialisten in Kauns Musik Anlass dazu sahen, ihn eine Zeit lang (und wohlgemerkt nach Kauns Tod im Jahr 1932) als eine Art „Musterkomponist“ anzupreisen, dem es nachzueifern gelte, dürfte der Rezeption von Kauns Werken in der Nachkriegszeit ebenfalls nicht unbedingt geholfen haben.
Hört man sich die hier auf einer wunderschönen SACD des Labels MDG vertretenen Kompositionen jedoch unvoreingenommen und ohne politische Beweggründe an, so stellt man fest, dass man hier wirklich einen sehr interessanten Komponisten vor sich hat. Als eine Art „Missing Link“ zwischen Johannes Brahms und Richard Strauss könnte man Kauns Kammermusikkompositionen ebenso sehen wie einen musikalischen Jugendstilvertreter, dessen musikalischer Weltschmerz bestens in die dekadente, floral blattgoldumrankte Zeit der Jahrhundertwende passte.
Kauns Oktett ist die bemerkenswerteste Komposition auf diesem Tonträger. Besetzt mit Klarinette, Horn, Fagott, zwei Violinen, Bratsche, Violoncello und Kontrabass ergibt sich bei dem 17-minütigen, einsätzigen Stück der Eindruck einer kleinen, aber bemerkenswert ausdrucksstarken Kammersymphonie. Das Klavier- und das Streichquintett sind nicht weniger interessant, zeigen stärker das, was Kruse in seiner Rezension aus dem Jahr 1910 zu hören meinte („…auf der Kunst unserer klassischen Meister fußend“). So scheint insbesondere bei dem Streichquintett Op. 28 Schuberts berühmtes Werk derselben Gattung (zumindest teilweise) Pate gestanden zu haben.
Was man in dieser Musik nicht alles hören kann! Kauns Musik gibt in der Tat eine Ahnung davon, wie es mit der Musik in Deutschland vielleicht weitergegangen wäre, hätten das verbrecherische Nazi-Regime und der Zweite Weltkrieg nicht auch kulturell einen nie dagewesenen kulturellen Bruch herbeigeführt.
Aber dieses Album ist weit interessanter als nur unter rein musikhistorischen Gesichtspunkten. Wir haben hier wirklich vorzüglich komponierte Stücke mit sehr schönen Melodien, und das vielfach preisgekrönte Berolina Ensemble interpretiert diese Musik sehr gut, wenn auch die instrumentale Balance (vor allem in Sachen Lautstärkeabstimmung im Oktett aber auch im Streichquintett) nicht immer vollumfänglich zu überzeugen vermag.

[Grete Catus, November 2015]